041 - Die Tür mit den 7 Schlössern
Hand empor und griff nach dem Browning, der unter dem Kopfkissen lag. Dabei kam sein nackter Unterarm sekundenlang in Berührung mit einem angeschwollenen Handrücken, und ein würgendes Gefühl der Übelkeit schüttelte ihn. Die Zähne zusammenbeißend, kehrte er dem unsichtbaren Feind sein Gesicht zu, griff nach rückwärts in die Falten des Vorhangs und riß ihn mit jähem Ruck herab. Der Mondschein überflutete im gleichen Augenblick das ganze Zimmer mit seinem bleichen Licht. Es war leer! Kein Mensch atmete darin außer ihm. Die Tür stand weit offen.
Dick tastete vorsichtig nach dem Schalter. Das Licht flammte auf. Nichts! Ein Luftzug wehte kühl, auch die Tür zur Küche war von unbekannter Hand weit aufgerissen worden, und das Fenster in der Küche ließ dem Nachtwind freien Zutritt. Dick eilte auf den Balkon und beugte sich über die Brüstung hinab. Da sah er seinen Angreifer, eine unförmige Gestalt, eilig eine Strickleiter hinabklettern, die am Eisengeländer befestigt war. Schon faßte seine Hand den Browning fester, da verschluckten die Schatten des Hofes den unheimlichen Eindringling.
Dick stand unbeweglich. Mit den Blicken suchte er in den Winkeln des Hofes, in den Gängen zwischen den Garagen, doch alles lag ruhig und still. Nirgendwo bewegte sich ein Schatten, nirgends zeigte sich eine herkulische Gestalt. Doch während er noch stand und schaute, ertönte von der Straße her das Surren eines anspringenden Motors. Es schwoll eine Sekunde an, verlor sich dann in der Ferne.
Dick verließ den Balkon und begab sich ins Arbeitszimmer. Sein erster Blick fiel auf die Uhr. Beide Zeiger deckten sich auf der Vier. Im Osten überzog sich der Himmel mit fahlem Schein. Wer war der unbekannte Mordbube gewesen? Eine Ahnung von Lew Pheeneys Ende stieg in ihm auf. Eins schien ihm sicher: sein Angreifer im ›Galgenhof‹ und dieser nächtliche Besucher waren ein und dieselbe Person.
Er ging wieder in die Küche zurück und zog die Strickleiter empor. Sie war augenscheinlich mit der Hand geknüpft; die Sprossen aus gedrehtem Hanf waren in unregelmäßigen Abständen zwischen den Längsseilen angebracht. Er zerbrach sich zunächst den Kopf darüber, wie die Strickleiter auf den Balkon gelangt war. Bei näherer Überlegung sagte er sich, daß wahrscheinlich zunächst eine Schlinge über die ausladende Brüstung geworfen und die Leiter dann mit ihrer Hilfe hinaufgezogen worden war. Seine Vermutung fand er bestätigt, als er bei Tagesanbruch im Hof nach den Spuren der Täter suchte. Er fand die Schleuder, eine Schnur, die um einen kleinen eisernen Bolzen gewunden war, und das daran befestigte Seil. Das Rätsel, das Lew Pheeneys Tod bisher mit undurchdringlichem Dunkel umgeben hatte, war jetzt gelöst. Auf der Strickleiter war der Mörder in die Wohnung gedrungen. Der Rückzug über die Höfe war leicht.
Dick taumelte fast vor Müdigkeit. Halb angekleidet warf er sich auf sein Bett und versank in bleiernen Schlaf.
14
Dick wurde durch das anhaltende Läuten des Telefons geweckt. Widerwillig drehte er sich im Bett um und griff nach dem Hörer. Aber sein Gesicht klärte sich auf, als er eine Stimme vernahm, die hell und klar an sein Ohr drang.
»Hallo, Sie sind es?« fragte er in freudigem Erstaunen. »Das ist lieb von Ihnen, daß Sie an mich denken.« Am anderen Ende der Leitung erklang ein leises Lachen. »Wissen Sie denn, wer ich bin? Ich habe ja meinen Namen gar nicht genannt.«
»Aber Miss Lansdown! Ihre Stimme sollte ich nicht erkennen?«
Darauf entstand drüben eine verlegene Pause.
»Haben Sie irgendeinen besonderen Anlaß zu Ihrem Anruf?« fragte Dick. Plötzlich waren ihm die Ereignisse der Nacht eingefallen, und Angst um die Sicherheit des geliebten Mädchens beschlich ihn.
»Nein, das eigentlich nicht«, erwiderte Sybil zögernd. »Ich möchte etwas mit Ihnen persönlich besprechen, was sich am Apparat schwer auseinandersetzen läßt.«
»Dann kommen Sie bitte sofort«, bat Dick. »Ich werde dem Portier sogleich Bescheid sagen.«
Sybil hängte den Hörer ein. Sie begriff nicht, wozu eine Verständigung des Pförtners nötig sei. Allerdings konnte sie nicht ahnen, daß Dick seit dem Vorabend offiziell auf längere Zeit verreist war.
Dick versuchte inzwischen, drei Dinge zu tun. Er stieg ins Bad, seifte das Gesicht ein und rasierte sich, während die Spiegeleier in der Pfanne schmorten.
Da ertönte auch schon die Flurklingel. Dick warf in fliegender Eile den Schlafrock um und rannte auf die Diele.
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