0412 - Ein Grab aus der Vergangenheit
schleifte mal über den Boden. Nadine nahm die Gerüche auf und dachte daran, dass sie sich vor dem Ziel nicht noch erwischen lassen sollte.
Da war sie wieder wie ein Mensch. Unter diesem doppelten Zustand hatte sie ungemein stark gelitten, und es war auch jetzt, Jahre nach der Verwandlung, noch nicht vorbei.
Der Yard war für sie John Sinclair. Nadine wusste, dass sie hier Hilfe erhalten konnte, wenn alles so lief, wie sie es sichvorgestellt hatte. Menschen verließen das Gebäude. Sie achteten nicht auf den neben dem Eingang kauernden »Hund« mit dem nassen Fell. Nadines Augen waren auf die Tür gerichtet. Sie wollte in das Gebäude hineinhuschen, wenn die Luft rein war. Nur kurze Zeit musste sie warten, dann nahm sie die Chance wahr und huschte durch die Tür.
Die Halle war groß und ihr alles fremd. Nadine spürte, dass John Sinclair hier gewesen war. Sie witterte seine Spuren, die er hinterlassen hatte, und aus diesem Grunde hatte sie keine Angst.
Es verging einige Zeit, bis sie entdeckt wurde. Erst ein zufällig daherkommender Beamter, der eine Akte unter dem Arm trug, blieb plötzlich stehen, als hätte ihm jemand einen Hammer gegen den Kopf geschlagen. Er schaute Nadine an und ging unwillkürlich zwei vorsichtige Schritte zurück. Die Wölfin wies eine beachtliche Größe auf.
»He, Mr. Doyle!« rief der Beamte. »Schauen Sie sich das mal an. Hier ist ein Wolf in der Halle.«
Doyle war der Portier. Bisher war er damit beschäftigt gewesen, Notizen in sein Wachbuch einzutragen. Als er den Ruf hörte, schreckte er hoch, schaute durch das Glas der Frontscheibe und sah den Beamten aufgeregt winken.
»Ein Wolf, Mr. Doyle!«
Erst jetzt erkannte ihn Doyle. Der Mann zuckte zusammen und wurde bleich.
»Sie müssen etwas tun, Doyle!«
»Ja, natürlich.« Doyle hatte gesprochen, ohne von dem anderen gehört zu werden, da die Glaskabine den Schall schluckte. Aber er wusste, was er zu tun hatte.
Alarmierung der Bereitschaft!
Sollten die sich um den »Köter« kümmern. Dass es ein Wolf war, wie der Kollege behauptete, daran wollte er nicht glauben, und so hatte er die Verantwortung abgeschoben.
Das von ihm ausgelöste Signal musste die anderen alarmieren. Er kannte die Truppe. Sie würden in einer knappen Minute in der Halle sein und sie absperren.
Davon ließ sich Nadine nicht irritieren. Sie hatte sich ungefähr in die Mitte der Eingangshalle zu Boden gelegt und wartete darauf, dass etwas passierte.
Dies geschah sehr schnell.
Plötzlich hörte sie die Echos der laut gesetzten Schritte. Von allen Seiten drangen sie an ihr Gehör, sie richtete sich auf und sah die Männer, die sie eingekreist hatten und schwere Waffen in den Händen hielten. Die Mündungen richteten sie auf die Wölfin.
Nadine, mit der Seele eines Menschen in ihrem Tierkörper, ahnte plötzlich, dass es nicht gut um sie stand. Die Gesichter der sie umgebenden Männer zeigten Ablehnung, etwas Angst, aber auch den Willen, abzudrücken.
Deshalb rührte sie sich nicht. Nadine wollte nicht provozieren. Sie legte sich wieder hin, die anderen warteten ab, auch ihre Haltungen entspannten sich wieder ein wenig, und jemand fragte: »Was sollen wir denn jetzt machen?«
Da war guter Rat teuer. Erste Vorschläge klangen auf.
»Abschießen!«
»Rauswerfen!«
»Ins Tierasyl!«
Einigen konnte man sich nicht, und Nadine hörte die Worte der so entschlossen wirkenden Männer. Sie hätte ihnen gern gesagt, welch eine Gefahr auf sie alle lauerte, wenn die großen Pläne der Werwölfe sich durchsetzten, doch es gab leider keine Verständigung zwischen Mensch und Tier.
Einem Mann fiel etwas auf. Er war ein junger Beamter, etwas sensibel, der stets versuchte, andere Menschen zu verstehen. Er besaß gleichzeitig ein gutes Verhältnis zu Tieren und hatte sich Nadine sehr genau angesehen. »Schaut euch nur mal die Augen an, Leute!«
»Was ist mit denen?«
»Das sind keine Tieraugen, sage ich euch.«
»Was dann?«
Der junge Beamte hob die Schultern. Er fühlte sich selbst nicht wohl bei dem, was er sagen wollte. Stockend brachteer es über die Lippen. »Das, das sind die Augen eines Menschen.«
Zuerst waren die Männer stumm. Sie wechselten Blicke. In ihnen stand zu lesen, dass sie den Sprecher für einen Spinner hielten.
»Hör mal, Slater, du erzählst da Unsinn! Wie soll ein Wolf Menschenaugen haben?«
»Sir, es ist so, sehen Sie genau hin.«
Nicht nur der Einsatzleiter bückte sich mit angeschlagener Waffe, auch andere Beamte, die inzwischen die
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