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0412 - Wo Canaro wütet

0412 - Wo Canaro wütet

Titel: 0412 - Wo Canaro wütet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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den Ausweis hergestellt hatte, war ein absoluter Künstler.
    Cray wollte sich keine weitergehenden Vorteile verschaffen. Er benutzte den Ausweis nur, um unbequemen Fragen aus dem Weg zu gehen, wenn er ›im Einsatz‹ war. Zweihundert Jahre früher hätte er es einfacher gehabt. Als Hexenjäger der Inquisition hätte er sich nicht zu verbergen brauchen.
    Aber die Inquisition gab es schon lange nicht mehr, Hexenverbrennungen auch nicht. Die Zeiten waren modern geworden, und die Dämonen, die Gray kennengelernt hatte, hatten sich der Zeit angepaßt. Sie tanzten nicht mehr auf dem Blocksberg, sondern saßen mit weißen Kragen in Büros und manipulierten Computer und Firmen. Die Seelen, die sie jagten, fingen sie nicht mehr mit blutunterschriebenen Verträgen auf Menschenhaut, sondern mit Geld und Macht.
    Widerwillig packte Gray mit zu. Als der Deckel des Zinksarges sich schloß, atmete er auf.
    »Soll der Tote erst noch in die Gerichtsmedizin?« erkundigte sich der Fahrer des Leichenwagens.
    »Bringen Sie ihn direkt ins Leichenschauhaus«, sagte Gray. »Die Rechnung ans FBI.« Es war der Gipfel der Dreistigkeit, aber er konnte vom eingeschlagenen Weg nicht zurück. Die Lage war verfahren. Und er wollte so schnell wie möglich aus dieser Sache wieder heraus. Ein kleiner Trost war, daß man dem Mädchen später nichts anhängen konnte. Sibyl Darrow spielte in gutem Glauben mit…
    Aus der kleinen Küche sah Gray aus dem Fenster. Er konnte gerade noch den Teil der Straße erkennen, der ihm zeigte, daß der Leichenwagen davonrollte. Ein schwarzer, chromblitzender Cadillac mit Sonderaufbau und Überlänge.
    Langdon Gray hätte erleichtert aufatmen müssen. Canaro, der Hexer, war tot. Der Dämonische, den er monatelang gejagt hatte, war endlich zur Strecke gebracht.
    Aber seltsamerweise stellte die Erleichterung sich nicht ein. Gray sah keinen Grund dafür. Aber eine gewisse Unruhe und Gespanntheit blieb.
    »Ich gehe dann jetzt auch, Sibyl«, sagte er. »Meine Arbeit ist zu Ende. Tut mir leid, daß Sie Unannehmlichkeiten hatten. Ich hätte sie gern vermieden, aber…«
    »Schon gut, Langdon«, erwiderte sie leise.
    »Leben Sie wohl…«
    ***
    Am Abend war er immer noch bei ihr.
    Er begriff es selbst nicht so recht. Das Vernünftigste wäre gewesen, zu gehen und für alle Zeiten zu verschwinden. Es sah danach aus, daß Sibyl Darrow den Schock relativ schnell überwunden hatte, sie brauchte also keine Fürsorge mehr. Aber irgendwann, vielleicht noch heute, würde jemand kommen und Fragen stellen.
    Aber Langdon Gray war nicht verschwunden.
    Sein Wagen stand immer noch im Parkdeck drei Häuser weiter. Der Hexenjäger hatte Sibyl zum Essen einladen wollen, aber sie bestand darauf, nicht auszugehen, sondern selbst zu kochen, und so hatte er rasch noch ein paar Zutaten eingekauft…
    Und zwei Flaschen Wein…
    Hau ab, Mann! raunte eine Stimme in ihm. Verschwinde, solange du es noch kannst!
    Aber er blieb.
    Irgend etwas war an diesem Mädchen, das ihn fesselte. Waren es ihre Augen, ihre Stimme oder ihre Art, sich zu bewegen? Er verglich sie insgeheim mit einer jagenden Raubkatze. Das Hilflose war von ihr abgefallen, seit der Tote nicht mehr in ihrem Wohnzimmer lag.
    Sie hatte nur ein einziges Mal ›Bleib bitte noch‹ sagen müssen, und Langdon Gray kam nicht mehr von ihr los.
    Sie erzählte von sich.
    Sie stammte aus einem kleinen Nest in Philadelphia. Dort war sie aufgewachsen, in der nächsten größeren Stadt zur Schule gegangen und dann aufs College gewechselt. Jetzt wohnte sie hier in New York und studierte Kunst und Wirtschaftswissenschaften.
    »Eine unmögliche Kombination«, behauptete Gray kopfschüttelnd.
    »Schon, aber das Künstlerische sorgt für Ausgleich«, erwiderte sie und zeigte ihm ihr Atelier.
    Andere hätten es Schlafzimmer genannt. Ein breites Klappbett stand dort, das notfalls auch Platz für zwei bot, ein Kleiderschrank, und alles andere war Zeichentisch, Staffelei und ein wildes Sammelsurium von Farbtöpfen, Pinseln und anderem Gerät. Etwa ein Dutzend angefangener Bilder lagen auf dem Fußboden herum oder lehnten an der Wand. Die abstrakten Figuren sagten Gray nichts. Sibyl arbeitete mit dunklen, schweren Farben, gerade so, als liege ein starker Druck auf ihrer Seele, den sie von sich zu schieben suchte, indem sie das malte, was sie empfand. Wie sie ihm erklärte, arbeitete sie immer an einer Handvoll Bilder gleichzeitig.
    »Hast du schon irgend etwas verkaufen können?« fragte er.
    Sie schüttelte den

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