0418 - Die Waldhexe
Sensationsgier befriedigen, wenn sie versuchen, mit ihm zu sprechen, aber einen Gauner hat ihn noch niemand genannt.«
»Dann wird’s Zeit«, knurrte Zamorra. Tatunca Nara, der weiße Häuptling der Ugha Mongulala-Indios, war nach eigenem Bekunden der Wächter der versunkenen Stadt Akakor irgendwo im brasilianischen Dschungel, und die Geschichte seines Volkes sollte angeblich weit über zehntausend Jahre zurückzuverfolgen sein. Niemand hatte Akakor bisher gefunden, und Expeditionen, die von dem allein eingeweihten Tatunca Nara geführt wurden, waren samt und sonders aus recht eigenartigen Gründen gescheitert. Es gab nur die Erzählungen des Häuptlings, nach denen der Journalist Karl Brugger ein ganzes Buch über Akakor und die Chronik der Ugha Mongulala geschrieben hatte. Und vor ein paar Jahren war Brugger, der Akakor auch nicht fand, auf offener Straße erschossen, sein Büro in Manâos durchwühlt worden…
»Euer Tatunca Nara«, murmelte Zamorra düster, »hat ein fantastisches Märchen erzählt, einen großartigen Traum aufgebaut, der immer mehr von Fakten erhärtet zu werden schien. Bloß hat die Sache den Schönheitsfehler, daß dieser weiße Häuptling ein Mann aus Nürnberg ist, der seine Familie dort sitzen ließ, von seiner Frau zufällig bei einem Besuch in Manâos wiedererkannt wurde und auch mindestens für das Verschwinden einiger Menschen verantwortlich ist. Warum er damals aus Deutschland verschwand, ist ebenso unklar wie die Tatsache, daß er die Sprache ›seines‹ Volkes so perfekt beherrscht, nur ist damit die fantastische Chronik von Akakor leider als Lügengespinst entlarvt und der Mann, der sich hier Tatunca Nara nennt, ein Betrüger und leider auch noch kaum zu fassen…«
»Das ist aber eine kühne Behauptung, Senhor Zamorra«, stieß Húlú überrascht hervor. »Ich möchte sagen, sie ist kaum weniger fantastisch als die Geschichte der Ugha Mongulala…«
»Aber im Gegensatz zu der und zu Akakor, das niemand jemals fand, weil Tatunca Nara immer einen Grund fand, die Expeditionen vorher scheitern zu lassen, läßt sie sich belegen. Irgendwann wird jemand diesem Burschen das Handwerk legen. - Aber wie ich schon sagte, bin ich nicht auf der Suche nach Akakor. Ich suche eine Person.«
»Hier? Im Dschungel? In der Grünen Hölle?« Húlú lachte, wurde sich dann seiner Unhöflichkeit bewußt und versuchte eine Entschuldigung. Zamorra winkte ab. »Ich habe ungefähre Anhaltspunkte«, sagte er. »Wundern Sie sich über nichts, Taró.«
Húlú grinste.
»Ich wundere mich über nichts, wenn der Betrag auf dem Scheck stimmt«, sagte er. »Und er hat gestimmt. Sie zahlen - ich fliege. Das ist alles, Senhor.«
Zamorra nickte.
Er verdrängte Akakor. Das war unwichtig. Er war wegen Nicole hier. Und er mußte sie finden.
»Wie weit, schätzen Sie, werden wir fliegen müssen?« fragte Húlú. Er hatte diese Frage schon einmal gestellt und beantwortet bekommen, aber er schien allmählich zu akzeptieren, daß Kurs und Entfernung sich möglicherweise ändern konnten. »Meinen Sie, daß wir bis in Rondônia hinein müssen?«
Zamorra nickte.
»Ich bin sicher, Taró…«
Er schloß die Augen und versuchte, wieder mit seinen Gedanken nach Nicole zu rufen. Aber er fand nicht einmal ihren Schatten. Sie hatte sich zu gut abgeschirmt…
***
»Ich habe Angst, Garifo«, sagte Silvana.
Sie sah nicht aus wie eine Hexe. Die stellte man sich für gewöhnlich als alt, häßlich und schlampig gekleidet vor, mit einer Warze auf der gekrümmten Nase und einer schwarzen Katze und einem Raben auf den Schultern.
Silvana war schön. Sie war eine verführerische Frau. Aber davon allein ließ sich der blonde Mann an sich noch nicht beeindrucken, obgleich er ein großer Verehrer weiblicher Schönheit war.
Er hatte auch mit Silvana, der Hexe, geschlafen. Aber auch dadurch fühlte er sich ihr noch nicht verpflichtet. Sie wußten beide, daß es keine Bindung auf Dauer verlangte, wenn sie sich gegenseitig so sehr gefielen.
Etwas anderes verband sie beide miteinander: der Kampf um den Wald. Silvana wollte ihn vor der Zerstörung bewahren.
Der Blonde wollte das auch.
Aber sie wußten beide auch, daß es schwierig sein würde. Sehr schwierig. Der Blonde arbeitete an Silvanas Seite für die Sache, sie aber kämpfte um ihre Seele. Sie war mit diesem Wald verbunden. Starb der Wald, starb auch sie. Sie war keine Dryade, kein Baumgeist, wie er in der griechischen Mythologie am treffendsten geschildert wurde, aber
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