0421 - Willkommen im Fegefeuer
Plattform einen dünnen Vorhang aus Feuer gebildet hatten, in dem sich die beiden Gestalten deutlich abzeichneten.
Der Schwarze und der Blonde!
Sie ähnelten sich. Beide würden keine Gnade kennen, und beide waren Baphomet verfallen.
Ich hatte noch eine Frage, tippte das Mädchen an. Carol zuckte zusammen. Sie schien aus einem tiefen Traum erwacht zu sein. »Es ist hart«, sagte ich leise. »Aber ich muß wissen, wie der Film endete. Sie haben ihn gesehen.«
»Ja, ja… es war das Mädchen.« Ihr Blick glitt nach innen. Die Erinnerung überkam sie. »Aus Rio haben sie die Kleine geholt. Die war bestimmt noch jünger als ich. Ein hübsches Ding. Sie brachten es auf diese Plattform. Wie wir beide glitt sie ebenfalls in die Tiefe, und dort wurde sie von Baphomet erwartet.«
»Tötete er sie?«
»Auch…« Die Antwort kam zögernd. Sie klang gepreßt. Ich konnte mir vorstellen, daß noch mehr dahintersteckte.
»Bitte, Carol, Sie müssen es sagen.«
Wieder änderte sich der Blick ihrer Augen. Er kam mir unsäglich verlassen vor. »Ja«, flüsterte sie. »Ja, ich muß es sagen. Das Mädchen wurde erwartet. Meine Güte, sie war so schön, und dann das. Dieser Baphomet, der Teufelsgötze. Er… er ist der Schlimmste. Aber so etwas gibt es, Sinclair. Auch heute noch.«
»Was gibt es?«
»Er ist… er ist ein Kannibale!«
***
Am liebsten hätte ich geschrien und ihr gesagt, daß sie sich irrte.
Statt dessen hockte ich vor ihr, starrte sie an und brachte kein Wort hervor. Carol Maynard senkte den Kopf. Sie atmete röchelnd, die Schultern zuckten, ich spürte ihre Angst fast körperlich.
Auch ich fühlte mich, als würde ich in einem Eisschrank sitzen.
Was mir das Mädchen da mitgeteilt hatte, war so ungeheuerlich, daß ich darüber kaum nachdenken wollte. Es wollte nicht in mein Hirn, irgendwo befand sich eine Sperre, aber ich konnte mir vorstellen, was Carol hinter sich hatte.
Diesen Film zu sehen war eine Folter, die Zerstörung einer menschlichen Psyche.
Noch schlimmer sah ich diese Menschen an, die solche Streifen drehten. Doch konnte man sie noch als Menschen bezeichnen?
Meine Gedanken blieben wieder an dem Namen Baphomet hängen.
Er war derjenige, der die abtrünnige Gruppe der Templer verehrte.
Für sie bedeutete er Leben und Erfolg und Macht.
Für mich war er das Gegenteil. Ich dachte daran, daß Baphomet noch zwei andere Namen hatte.
Vincent van Akkeren und der Grusel-Star.
Letzteren hatte er sich selbst gegeben, als er damit begann, seine fürchterlichen Streifen zu drehen. Er hatte als toller Regisseur bei einem bestimmten Publikum gelten wollen, und – das mußte ich anerkennen – es war ihm gelungen.
Baphomet, der Herr des Fegefeuers. Die Person zwischen den Welten. Weder Mensch noch Teufel und gefährlicher als Akim Samaran, der es nicht geschafft hatte und als goldener Klumpen irgendwo auf dem Grund des Meeres lag wie die schwarze Yacht van Akkerens, die kurz nach der Höllenfahrt in die Luft geflogen war.
Das alles wußte ich über ihn. Und jetzt war noch mehr hinzugekommen. Das Mädchen hatte es mir gesagt. Ich sah keinen Grund, Carol nicht zu glauben.
Dieses eine Wort war so schrecklich, daß ich es nicht fertig brachte, es auszusprechen. Selbst daran denken wollte ich nicht.
»Jetzt wissen Sie es«, sagte Carol.
»Ja, ich weiß Bescheid.«
»Und unsere Reise wird bald enden. Wenn wir das Ziel erreicht haben, stehen wir vor ihm. Vor dem Herrn des Fegefeuers. Wir werden ihn sehen, und seine beiden Diener werden uns töten. Ich habe gesehen, was sie mit dem Mädchen getan haben. Aber da war der Film noch nicht beendet…« Carol begann wieder zu weinen.
Ich nahm ihr Gesicht in beide Hände. Verdammt, es war furchtbar. So irreal, einfach nicht zu fassen, aber der kalte Horror, den ich empfand, preßte mein Herz zusammen.
Flammen umtanzten uns weiterhin. Das Feuer schien mich höhnisch anzugrinsen. Es freute sich wohl darauf, uns auf dem Weg begleiten zu dürfen. Die Flammen wurden zu regelrechten Figuren.
Ich sah Dinge in ihnen, die nicht vorhanden waren. Fratzen, verzerrte Gesichter, lange Zungen, flammende Arme, vielleicht etwas von dem, was uns erwartete.
Nur Baphomet entdeckte ich noch nicht.
Wo befanden wir uns überhaupt? Unter Derek Maynards Haus?
Oder hatten wir bereits die Grenze zwischen Zeit und Raum überschritten, damit uns die Zwischenhölle mit ihren offenen Flammenarmen empfangen und für alle Zeiten behalten konnte?
Der Stopp überraschte uns beide.
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