0422 - Der Kopfjäger von Manhattan
geholt, Johnny?« fragte ich und zeigte auf die beiden Finger.
»Beim Trampen«, erwiderte er. »Ich habe eine Woche lang versucht, mich zu verstecken. In den Wäldern, in Scheunen, in abgestellten Güterzügen und wer weiß wo noch. Aber das ist kein Leben. Das hält man nicht durch. Dauernd auf dem Sprung sein, dauernd lauschen, ob einer kommt — da geht man vor die Hunde. Deswegen bin ich nach New York zurückgekommen. Auf einem Güterzug. Als ich aufgesprungen bin, habe ich mir die beiden Finger hier auf gerissen. War nicht weiter schlimm.«
Ich dachte an den unbekannten Einbrecher, der in der Apotheke Morphium gestohlen und sich ebenfalls zwei Finger der rechten Hand verletzt hatte. Aber nach dem aufgefundenen Handschuh mußten es der Zeige- und der Mittelfinger sein.
»Hören Sie, Johnny«, sagte ich, »wenn wir uns unterhalten, was ja auf Ihren Wunsch geschieht, hätten Sie dann was dagegen, wenn wir das Gespräch auf Band aufnehmen? Wenn wir nämlich ein Protokoll anfertigen müssen, könnten es die Sekretärinnen einfach nach dem Band tippen.«
»Von mir aus«, sagte er.
Ich holte ein Tonbandgerät mit Mikrophon, schloß es an und stellte das Mikrophon so auf den Tisch, den ich herangezogen hatte, daß es ungefähr in der Mitte zwischen mir und ihm stand. Wir machten ein paar Proben, die ich am magischen Auge des Gerätes kontrollierte. Dann warteten wir, bis Phil mit dem Kaffee kam. Ich schenkte ein aus der riesigen Kanne, die Phil mitgebracht hatte. Unsere Kantine ist darauf eingestellt, daß Verhöre manchmal zehn und noch mehr Stunden dauern können.
»Also«, sagte ich, als wir den ersten Schluck getrunken hatten, »dann schießen Sie mal los, Johnny. Was wollen Sie uns erzählen?«
Er führte seine Zigarette mit der linken Hand zum Mund, legte sie in den Aschenbecher und trank noch einen Schluck Kaffee.
»Ich habe Bob Evans nicht umgebracht«, sagte er.
Phil warf mir einen raschen Blick zu. Vielleicht dachten wir in diesem Augenblick dasselbe. Leute, die ein paar Tage Abstand von ihrem Verbrechen haben, denken sich oft eine Story für die Geschworenen aus, die über ihr Schicksal befinden sollen, Diese ausgedachte Story wiederholen sie sich in ihrer Phantasie so oft und schmücken sie dabei mit immer mehr Einzelheiten aus, bis sie die Geschichte schließlich selber glauben.
»Wenn Sie es nicht waren, Johnny, wer war es dann?« fragte Phil leise.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich es nicht war.«
»Na schön«, brummte ich ein wenig enttäuscht. »Erzählen Sie uns Ihre Version. Wir werden sie uns anhören.«
Vorhin hatte ich gespürt, daß es Mitternacht war. Die Müdigkeit war mit einer bleiernen Trägheit in meinen Kopf gezogen, aber der Kaffee erfrischte mich. Freilich war ich ein wenig enttäuscht darüber, daß uns Miller mit der uralten Masche kam »Ich bin‘s nicht gewesen«.
»Ich hatte mit Bob Evans zusammen ein Zimmer, weil das für uns beide billiger war. An dem Abend — mein Gott, es kommt mir vor, als liege das schon Jahre zurück — also an dem Abend kam ich gegen zehn Uhr abends nach Hause. Ich war nach der Arbeit ins Kino und anschließend etwas essen gegangen, und da war es eben zehn Uhr oder etwas darüber geworden.«
»Der Hausmeister hat gesehen, daß Sie um fünf nach zehn das Haus betraten, Johnny«, bestätigte ich, denn wir hatten ja am vergangenen Sonntag Johnnys Akte gelesen.
»Stimmt. Ich sah ihn auch. Er ging gerade in seine Wohnung im Erdgeschoß. Aber was er nicht mehr sah, war eben, daß ich gar nicht in den Fahrstuhl stieg und hinauf fuhr.«
»Nein?«
»Nein. Während ich die Halle durchquerte, wollte ich mir eine Zigarette anstecken. Da merkte ich, daß das Päckchen leer war. Ich drehte mich also uni und ging wieder hinaus, um mir aus dem Automaten vorn an der Ecke eine Schachtel zu ziehen.«
»Warum konnte das nicht bis zum nächsten Morgen warten?«
»Na, Sie sind gut, G-man! Sind Sie ein richtiger Raucher? Würden Sie abends ins Bett gehen, bevor Sie noch eine letzte Zigarette geraucht haben? Ich jedenfalls muß es. Also ich ging wieder hinaus bis zur Ecke. Ich zog mir eine Schachtel Chesterfield und bummelte gemütlich zurück. Ich weiß es noch wie heute. Am Himmel konnte ich einen Stern sehen. Das war seltsam, denn gegen die vielen Lichter in New York kommen die Sterne am Himmel ja gewöhnlich nicht an. Aber es war eine laue Nacht, und ich bummelte also gemütlich die Straße ‘runter.«
»Hat Sie jemand dabei gesehen? Jemand,
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