0426 - Palast der Schattenwürger
keine.«
»Und der Palast ist auch nicht irgendwer«, sagte ich. »Es gibt ihn normalerweise nicht.«
»Aber wir sehen ihn doch.«
»Er kann aus einer anderen Dimension gekommen sein.«
»Sinclair, jetzt spinnst du.«
»Nein, er hat recht!« stand mir Touat bei.
»Das ist alles eine Täuschung der Dschinns. Nur wenigen ist es vergönnt gewesen, den Palast der Schattenwürger zu sehen. Diejenigen aber, die ihn gesehen oder betreten haben, verließen ihn nur als Tote, wenn überhaupt…«
»Ja, ja, schon gut.« Culver räusperte sich. Die warnenden Worte des Mannes hatten ihm wohl nicht gefallen.
Ich blickte auch nicht auf die Mädchen, sondern suchte die unheimliche Schattengestalt, die ich schon einmal auf dem Fluß entdeckt hatte. Von ihr war nichts zu entdecken.
»Wenn sie anfangen zu singen, ist der Tod nicht weit. Die drei sind die Sirenen. Sie locken mit ihrem Gesang die Männer ins Verderben. Wenn ihr bei ihnen seid, dann…«
Er sprach nicht mehr weiter.
Dafür schrie er gellend auf.
Da er hinter uns stand, mußten wir uns umdrehen, um Touat sehen zu können.
Es hatte ihn erwischt. Wo die Schatten hergekommen waren, wußte ich nicht. Jedenfalls zogen sie den jungen Mann über Bord, und wir konnten gerade noch seine Füße erkennen…
***
Ich warf mich sofort vor und gleichzeitig nach rechts, weil ich wenigstens noch ein Bein erwischen wollte.
Leider klappte es nicht. Meine Hand griff ins Leere, ich selbst knallte zu Boden, das Boot schwankte heftig, ich hörte noch das Klatschen und sah Max Culver, der wieder seine Waffe gezogen hatte, aber nicht schoß, sondern mit kreidebleichem Gesicht über die Bordwand in das Wasser starrte.
Dort war Touat versunken. Er wehrte sich überhaupt nicht. Das war auch nicht möglich, denn aus der Tiefe des Wassers stiegen die schwarzen Schleier hervor.
Die Schattenwürger…
Und sie griffen zu.
Hals, Arme, Gesicht und Brustkasten des Mannes wurden umfangen. Er konnte sich unmöglich bewegen oder wehren. Die anderen zogen ihn mit sich. Noch einmal sah ich sein Gesicht.
Es wirkte verzerrt und gleichzeitig verschwommen.
Letzte Luftblasen perlten über seine Lippen und zerplatzten an der Oberfläche.
»Paradies und Hölle«, sagte ich krächzend. »Wie dicht liegt beides nebeneinander.«
Selbst Max Culver hielt den Mund. Er sah grau aus und hatte eine Gänsehaut bekommen. »Ich… ich nehme alles zurück, Sinclair, und behaupte das Gegenteil.«
Unser Begleiter war nicht mehr zu sehen. Die unheimlichen Schatten hatten ihn in die Tiefe des Wassers gezogen.
Aber die Sirenen waren noch da, und ihr Gesang wehte uns plötzlich entgegen. Sie standen am Ufer, lächelten verführerisch, so daß Culver fast durchdrehte.
»Ich lege die drei um! Ich…«
»Nein!« Culver hatte die Waffe schon gezogen, ich drückte seinen Arm zur Seite. »So nicht.«
»Wie denn?«
»Wir werden uns diesen Selim schnappen.«
»Und wo?«
Ich deutete nach vorn. »Im Palast, mein Lieber.«
Culver überlegte. Dann sagte er: »Ich habe schon erlebt, daß man in irgendeiner verdammten Wüste eine Fata Morgana sieht. Ob hier Wüste ist oder nicht, das ist mir egal, aber ich habe einfach das Gefühl, als wäre dieser komische Palast ebenfalls eine Fata Morgana. Das ist alles nicht wahr, man hat uns hier eine Täuschungvorgesetzt.«
»Daran glaube ich nicht.«
Culver schwieg. Er konzentrierte sich, denn unser Boot trieb gegen das Ufer.
Die drei Sirenen traten zurück. Wie viele Schleier sich um ihre grazilen Körper wandten, konnte ich nicht erkennen, aber sie allesamt waren durchsichtig, und wir sahen, daß sie unter den Schleiern nur ihre bloße Haut trugen.
Das Boot trieb gegen die große Marmorplatte, und wir stiegen aus.
Culver zuerst und mit gezückter Waffe. Er ging sofort zwei Schritte zurück, streckte den Arm aus und zielte auf die drei wartenden Mädchen.
Ich ließ mir mehr Zeit. Sie standen so, daß sie Culver und mich ansehen konnten. Unter den Gesichtsschleiern waren ihre Lippen zu einem scharfen Lächeln verzogen. Ob es uns galt, das war die Frage. Freundlich jedenfalls kam es mir nicht vor.
Auch ich verließ das Boot, bevor es wieder wegtreiben konnte.
Culver war sehr gespannt. Er nickte mir zu. »Geh aus meiner Schußlinie, John!«
Ich schüttelte den Kopf, trat auf die drei Schönen zu und ignorierte seinen Wunsch. Ich wollte Antworten auf meine Fragen haben und über den Tod unseres Begleiters Bescheid wissen.
Schatten, die im Wasser trieben. Schatten, die sich
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