043 - Der Mann von Marokko
nicht, daß er mit dem Leben davonkommt -ich bin Doktor Grainger.«
Jim sah sich auf der Karte rasch die genaue Lage von Cranfield Gardens an und fuhr ein paar Minuten später in größter Eile nach Blackheath. Der Nebel im Süden Londons war dichter, als Jim erwartet hatte, und man konnte nur langsam vorwärtskommen. Aber bei New Cross klarte es auf.
Lieber hatte Morlakes Wohnung beobachtet und ihn abfahren sehen. Er eilte zur nächsten Telefonzelle und rief Marborne an.
»Er ist fort«, sagte er. »Es war fünf Minuten nach zehn.«
»Ist er allein?«
»Ja, er fährt in seinem eigenen Wagen. Es sah so aus, als ob er große Eile hätte.«
Marborne hängte den Hörer ein und zahlte dann seine Zeche in dem kleinen Restaurant in Greenwich, in dem er schon seit einer Stunde auf die Nachricht gewartet hatte. Rasch trat er zu Slone und Colley auf die Straße hinaus.
»Wir dürfen keine Zeit verlieren. Brechen Sie jetzt so schnell als möglich in das Haus ein, Colley. Die Leute legen sich immer schon um neun Uhr schlafen.«
Das Auto, das sie für die ganze Nacht gemietet hatten, brachte sie nach Blackheath, und an der Ecke von Cranfield Gardens erhielt Colley die letzten Instruktionen.
»Sie müssen durch das Fenster in der Speisekammer eindringen und dann zum ersten Stock hinaufsteigen. Schlagen Sie eine der Vitrinen ein, in denen die Juwelen liegen. Sie riskieren nichts dabei, Colley. Sobald Sie Ihre Aufgabe erfüllt haben und die Familie wach ist, machen Sie, daß Sie fortkommen!« Colley verschwand in der Dunkelheit.
»Die Sache ist etwas sehr plump, Inspektor«, wandte sich Slone an seinen Vorgesetzten. »Ich fürchte, Morlake geht nicht in eine solche Falle. Er fährt wahrscheinlich direkt zur Wohnung seines Dieners und findet ihn gesund zu Hause.«
»Und ich sage Ihnen, daß er geradenwegs hierherkommt. Ich hörte schon an seiner Stimme, daß er in großer Sorge um Binger ist.«
Die beiden gingen schnell Cranfield Gardens hinunter und traten in einen dunklen Torweg.
»Das Auto kommt eben den Hügel herauf«, sagte Marborne plötzlich. »Kommen Sie noch tiefer in den Schatten.«
»Die ganze Geschichte ist verpfuscht«, brummte Slone. »Das ist zu plump angelegt - das kann nicht gut ausgehen.«
»Halten Sie den Mund«, fuhr ihn Marborne an. »Da ist der Wagen schon.«
Jim Morlake hielt vor Nr. 12 und stieg aus. Es war das vierte Haus von der Straßenecke und hatte eine große, schöne Fassade, aber es war kein Licht zu sehen. Er war schon durch das Tor in der Umzäunung gegangen, als ihm plötzlich auffiel, daß die rote Laterne, die gewöhnlich die Wohnung eines Arztes ankündigt, nicht brannte. Er kehrte um und schaute auf den Torpfosten, um sich zu vergewissern. Es stimmte, dieses Haus war Nr. 12. Er zögerte nun nicht länger, ging den kurzen Weg zur Haustür und stieg die Treppe hinauf. Da hörte er von innen einen Schuß und das Geräusch von Schritten in der Halle.
Plötzlich erkannte er instinktiv, in welcher Gefahr er schwebte, und eilte die Stufen wieder hinunter. Aber kaum hatte er zwei Schritte auf das Tor zu getan, als er einen Schlag erhielt, der ihm beinahe das Bewußtsein raubte. Noch ein Hieb sauste auf ihn nieder, dann wurde alles um ihn her dunkel.
Als er wieder zu sich kam, lag er auf einer harten, hölzernen Pritsche; jemand war mit seinem Kopf beschäftigt. Er öffnete die Augen und sah im spärlichen Licht der Zelle einen Mann, der ihn verband.
»Bleiben Sie still liegen«, sagte der Doktor entschieden.
Es war wirklich eine Zelle. Wie war er nur hierhergekommen? Plötzlich erinnerte er sich an den Schlag, der ihn niedergestreckt hatte. Sein Kopf schmerzte furchtbar, und er hatte ein unangenehmes Gefühl an den Händen. Als er sie betrachtete, bemerkte er, daß sie gefesselt waren.
»Warum hat man mich hierhergebracht?« fragte er.
»Der Polizeiinspektor wird Ihnen wohl alles Nötige mitteilen,« meinte der Arzt.
»Ach so«, erwiderte Jim düster. »Ich wünschte, er käme möglichst bald, um mir Aufklärung zu geben. Wie geht es denn Binger?« Er lächelte schwach. »Die ganze Geschichte war wohl nur erfunden? Der Polizeiinspektor, von dem Sie sprechen, ist natürlich Marborne?«
»Fragen Sie ihn lieber selbst«, entgegnete der Arzt diplomatisch. »Er wird in ein paar Minuten hier sein.«
Er ging hinaus und schloß die Zellentür. Mühsam setzte sich James Morlake aufrecht und überdachte seine unglückliche Lage. Er befühlte seine Taschen. Man hatte ihm alle
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