043 - Der Mann von Marokko
zwei fremde Herren auf. Joan hatte sie schon gesehen, bevor ihr durch das Gerede im Ort bekannt wurde, daß es zwei junge Kaufleute seien, die ihre Ferien auf dem Lande zubrächten. Es waren zwei blühend aussehende Leute, die viel überflüssige Zeit hatten und sich anscheinend langweilten.
Als sie um halb zehn nach Wold House kam, um das Frühstück zu bereiten, erwähnte sie diese Entdeckung. Jim Morlake nickte.
»Das sind Sergeant Finnigan und Detektiv Spooner vom Yard. Ich sah, wie sie am Abend nach meiner Rückkehr mit dem letzten Zug ankamen. Sie wurden in einem Polizeiauto von der Station hergebracht.«
Sie war betroffen, aber er lachte.
»Sie bilden sich doch nicht etwa ein, daß die Polizei mich jetzt nicht mehr beachtet? Welling hat sie geschickt, um meine Gewohnheiten zu studieren. Sie bleiben wenigstens eine Woche hier - ich dachte schon daran, sie einmal zum Abendessen einzuladen. Die Beköstigung im Roten Löwen wird ihnen nicht sehr zusagen.« Er zögerte einen Moment, bevor er weitersprach. »Warum haben Sie eigentlich Lydia Hamon gesagt -«
Er machte eine Pause, und auch sie hielt in ihrer Beschäftigung inne und sah, mit der Pfanne in der Hand, fragend zu ihm auf.
»Was soll ich ihr denn gesagt haben?«
»O nichts . . . ich vermute, Sie wollten sie nur ärgern -wenigstens nimmt sie das an.«
Er war verwirrt, und je mehr er versuchte, seiner Verlegenheit Herr zu werden, um so ungeschickter benahm er sich.
»Sie meinen, daß ich ihr erzählte, wir seien miteinander verlobt?« fragte sie ruhig. »Ja, das habe ich getan. Ich wollte sie einschüchtern, und Ihr Name war der erste, der mir einfiel. Es ist Ihnen doch nicht unangenehm?«
»Unangenehm...? Nein, das möchte ich nicht behaupten!«
»Ich hoffte, daß es Ihnen nichts ausmachen würde. Nachdem ich gestern weggegangen war, fiel mir ein, daß ich mein schreckliches Geheimnis Lydia Hamon anvertraut hatte, und ich machte mir selbst die größten Vorwürfe.«
Geschickt schwenkte sie die Eier auf eine Schüssel.
»Ich fürchtete schon, daß ich Sie hoffnungslos kompromittiert hätte... Sie sind doch sicher verheiratet?«
»Nein, ich bin nicht verheiratet«, sagte er heftig, »und ich war auch nie verheiratet.«
»Die meisten gutaussehenden Menschen sind verheiratet«, erwiderte sie so gleichmütig, daß er mutlos wurde. »Und meiner Meinung nach sehen Sie gut aus -ja, das ist meine Ansicht. Aber kommen Sie doch nicht mit Ihren Ellbogen mitten in die Schüssel mit den Spiegeleiern!«
Er haßte die Eier in diesem Augenblick.
»Es tut mir leid, daß Sie Lady Joan sind - ich hatte Jane gern . . . natürlich liebe ich auch Joan sehr.«
»Schön, wenn Sie mich Joan nennen wollen, steht dem nichts im Wege. Aber nun zu unserer Verlobung. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich sie noch für die nächste Woche bestehen lasse? Mr. Hamon hat gewisse Absichten, die mich und meine Zukunft betreffen.«
Sie erzählte ihm offen, welche besonderen Interessen Hamon in Creith hatte, und er pfiff vor sich hin.
»Sie sehen, daß unser Adelstitel eigentlich nur noch einer hohlen Fassade gleicht. Der wirkliche Herr von Creith ist Hamon. Und ich bin eigentlich nichts Besseres als sein Stubenmädchen. Er will mich heiraten, genau wie in all den Romanen und Geschichten, wo der schlechte Kerl die Tochter des ruinierten Lords heiraten will. Um den Roman noch vollkommener zu machen, müßte ich mich eigentlich in einen armen, aber sehr ehrlichen Farmer verlieben, der in Wirklichkeit der Erbe des Landsitzes ist.«
Er konnte keinen Blick von ihr wenden, während er ihr zuhörte. Es war aber nicht ihre Schönheit, die ihn gefangennahm, auch nicht ihr atemraubendes Selbstbewußtsein und der Humor hinter all ihrer Ironie -vielleicht ein bißchen von allem, und doch war es etwas anderes. Er erinnerte sich, daß sie einmal geweint hatte. Die harte, praktische Seite ihres Charakters und die Gesprächigkeit zeigten eigentlich nicht die richtige Joan Carston. Sie gab ihm manches Rätsel auf und erschreckte ihn auch.
»Starren Sie mich doch nicht so an - das tut man nicht. Ich möchte Sie noch etwas fragen. Gestern abend borgte ich ein Nachtfernglas von Stephens. Von meinem Fenster aus kann ich Wold House sehen - nachts kommt immer ein gelber Schein von dorther, den ich mir bisher nicht erklären konnte. Mit dem Fernglas habe ich nun aber festgestellt, daß es das Bibliotheksfenster ist. Und ich sah, wie Ihr Schatten immer wieder an dem weißen Vorhang vorüberkam. Warum
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