043 - Der Mann von Marokko
aber nie erwähnte er Genaueres.
»Wenn es nach ihm ginge, könnte ich in der Kasbah in Ketten liegen und nach einem Tropfen Wasser schmachten! Ich habe zwei neue Wunder für ihn - eine Silbermine in den Bergen! Aha, da machen Sie große Augen! Allein an dieser Konzession kann er fünfzig Millionen Pesetas verdienen - wer könnte solche Schönheiten finden außer Sadi Hafis? Ich bin der mächtigste Mann in Marokko - größer als ein Pascha -größer als der Sultan . . .«
In diesem Ton redete er weiter, und Colport wartete auf eine günstige Gelegenheit. Schließlich kam sie.
»Mr. Hamon sagt weiter, daß er die vierteljährliche Rente jetzt zahlen will und obendrein fünfhundert Pfund. Aber Sie müssen sofort.. . warten Sie einmal. . .«
Er nahm ein Telegramm aus der Tasche und glättete es. »Sagen Sie Sadi, ich muß einen anderen Ali Hassan haben«, las er vor. »Was meint er wohl damit?« Sadis Augen öffneten sich weit.
»Das bedeutet, daß er in großen Sorgen ist«, erwiderte er langsam. »Ich dachte es mir schon. Aber Ali Hassans wachsen nicht auf jedem Kaktusstrauch, Colport.«
Lange Zeit schwieg er nachdenklich, und seine Gedanken waren nicht die angenehmsten und schönsten.
»Telegrafieren Sie ihm, daß es tausend Pfund kostet«, sagte er schließlich. »Bringen Sie mir das Geld morgen abend. Aber auch dann ... nun ja, ich will sehen.«
Er begleitete Colport an das Tor, was eine ungewöhnliche Ehre war. Dann ging er wieder zu seinem verschossenen Armsessel zurück, stützte die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Hand, bis die Stunde des Gebets kam und er auf seinem Teppich niederkniete, das Antlitz gegen Osten gewandt. Nachher erhob er sich und rief einen Mann, der sein Schreiber und Diener war.
»Kennst du Ahmet, den Mauleseltreiber?«
»Ja. Er ist der Mann, der den Geldwechsler umbrachte. Man sagt auch, daß er noch einen anderen Mann beraubte und in einen Brunnen warf. Er ist ein schlechter Mensch.«
»Spricht er Englisch?«
»Spanisch und Englisch. Er war Fremdenführer in Casablanca, aber er hat dort eine Frau bestohlen und wurde dafür ausgepeitscht.«
Sadi neigte den Kopf.
»Er muß mein Ali Hassan werden. Geh zu den niedrigen Häusern an der Küste in seine Wohnung. Wenn er betrunken ist, lasse ihn dort, denn die französische Polizei darf ihn nicht sehen. Wenn er aber nüchtern ist, soll er um die zwölfte Stunde zu mir kommen.«
Die einzige europäische Uhr in Tanger schlug Mitternacht, als der Diener den Mauleseltreiber in Sadi Hafis' Haus einließ.
»Friede sei mit dir und deinem Hause, möge Gott dir glückliche Träume schenken«, sagte Ahmet, als der weißgekleidete Scherif ihm im Mondlicht entgegenkam.
»Du bist doch in England gewesen?«
Sie standen in der Mitte des Hofes, weit entfernt von den mit Holzgittern verschlossenen Haremsfenstern, hinter denen neugierige Ohren lauschten.
»Ja, Scherif, ich bin mehrere Male dort gewesen - auf den Maultierschiffen während des großen Krieges.«
»Du mußt wieder hin, Ahmet. Dort lebt ein Mann, der dich braucht. Erinnere dich stets daran, daß ich dich zweimal vom Tode errettet habe, als der Strick schon um deinen Hals lag. Zweimal habe ich, der Scherif von Ben-Aza, den Pascha um Gnade für dich gebeten und dich gerettet. Aber in England wird niemand sein, um dich zu retten, wenn du dich töricht benimmst. Komm morgen zu mir, und ich werde dir einen Brief geben.«
30
Jim Morlake kehrte in den frühen Morgenstunden nach Hause zurück. Um halb vier Uhr sah Spooner, daß der Schatten am Fenster verschwand und der Vorhang aufgezogen wurde. Im nächsten Augenblick öffnete Jim das bis zum Boden reichende Fenster und trat hinaus. Er schritt über den Rasen zum Tor. Der Detektiv zog sich in den Schatten der Büsche zurück, aber Jim rief ihn an.
»Sind Sie dort, Finnigan - oder sind Sie es, Spooner?«
»Spooner«, erwiderte der Beamte ein wenig verdutzt und trat vor.
»Kommen Sie herein und nehmen Sie einen WhiskySoda. Sie haben sicher sehr gefroren heute nacht.«
»Wußten Sie denn, daß wir hier waren?«
Jim lachte: »Natürlich wußte ich das.«
Jim schenkte ihm ein Glas ein, und der Detektiv trank es in einem Zug aus.
»Es ist doch wirklich verrückt, daß man die Zeit eines Beamten so vergeudet -«
»Sie meinen zweier Beamter«, verbesserte ihn Jim.
»Sagen Sie einmal, wann schlafen Sie überhaupt?« fragte der Detektiv und nahm sich eine Zigarre aus dem Kasten, den Jim ihm reichte.
»Sehr selten«, erwiderte
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