043 - Der Mann von Marokko
gefunden hatte, denn alle anderen Schubladen waren durchwühlt, und ihr Inhalt war auf dem Boden verstreut. Das Büfett war aufgebrochen, ein Koffer unter dem Bett mit Gewalt geöffnet, das Bett selbst vollständig abgedeckt. Sogar die Matratzen hatte der Dieb aufgehoben.
»Ihr Freund hat etwas gesucht - was mag das nur gewesen sein?«
»Zum Teufel, wie soll ich das wissen?« rief Marborne wild. »Auf jeden Fall hat er es nicht bekommen.«
»Ich weiß nicht, wie Sie das sagen können, wenn Sie überhaupt keine Ahnung haben, was er gesucht hat«, entgegnete der Beamte.
Das Telefon läutete, und das Fernamt meldete sich, denn Welling hatte ein Gespräch nach Creith bestellt.
»Captain Welling am Apparat. Sind Sie dort, Finnigan?«
»Ja.«
»Wo ist Ihr Mann?«
»In seinem Haus. Vor fünf Minuten war er noch dort.«
»Sind Sie dessen sicher?«
»Absolut. Ich habe ihn zwar nicht persönlich, aber seinen Schatten am Fenster gesehen. Es stimmt, daß er hier ist. Außerdem hat er gar kein Auto, denn er mußte es heute nach Horsham zur Reparatur schicken.«
»So? Zur Reparatur?« fragte Welling höflich. »Dann ist alles in Ordnung.«
Er legte den Hörer wieder auf und ging zu Marborne zurück, der verstört den zertrümmerten Geldschrank betrachtete.
»Es wäre ganz gut, wenn Sie die Sache Ihrem Polizeirevier meldeten und bäten, daß ein Mann von dort herkommt«, sagte sein früherer Vorgesetzter. »Ich glaube ja nicht, daß sie Ihnen helfen können. Es ist aber auch zu schlimm, daß Sie soviel Geld verloren haben. Banken sind doch sicherer.« Marborne erwiderte nichts darauf.
29
Wenn man die enge, hügelige Straße entlanggeht, die von der Moschee zu dem großen Markt in Tanger führt, und sich scharf nach rechts wendet, als ob die Kasbah das Ziel wäre, hat man zur Linken eine hohe, weiße Mauer, in der sich nur ein großes, massives Tor mit grün angelaufenen Bronzebeschlägen befindet.
Hinter dieser Mauer lag ein verwilderter Garten mit einem beschädigten Brunnen. Er war wenigstens wieder so weit repariert worden, daß ein schwacher Wasserstrahl emporstieg. Mit melodischem Rieseln fiel er ins Bassin zurück, wo zwischen vielen Schlinggewächsen Goldfische langsam und träge hin und her schwammen.
Das Haus von Sadi Hafis erhob sich in rechtem Winkel zu dieser Mauer. Es war ein häßliches, weißverputztes Gebäude, das vorn eine Veranda und eine kleine Säulenvorhalle hatte. Dort saß Sadi Hafis bei warmem Wetter in einem verschossenen Armsessel, trank Pfefferminztee und rauchte dazu seine Wasserpfeife. Er war ein schlanker, hellfarbiger Maure mit vortretenden Backenknochen und dünnem, schwarzem Bart. Stets sah er aus, als ob er halb schliefe.
Der Scherif Sadi Hafis war ein Mann, der die verschiedensten Vertrauensstellungen unter den wechselnden Regierungen eingenommen hatte; er war aber jedesmal nicht lange im Amt geblieben. Zwei Sultanen und vier Kronprätendenten hatte er schon gedient, und er war der Geheimagent für ein amerikanisches und sechs europäische Konsulate, die er nacheinander alle bestohlen und betrogen hatte. Außerdem war er ein vorzüglicher Redner und ein Freund der Eingeborenen. Sein Einfluß reichte sehr weit, und er handelte mit Konzessionen wie kein zweiter in diesem Land.
Um die Abendstunde kam ein Europäer von kleiner Gestalt zu ihm. Es war Colport, der Agent der Ralph-Hamon-Gesellschaften in Tanger.
»Guten Abend - trinken Sie eine Tasse Tee mit mir«, brummte der Scherif in englischer Sprache. »Haben Sie eine Antwort auf Ihr Telegramm erhalten?«
»Er telegrafierte, daß die vierteljährliche Rente erst in einem Monat fällig sei.«
Der Maure spuckte verächtlich aus.
»Hat er doch tatsächlich zwanzig Pesetas ausgegeben, um das zu telegrafieren - bei Allah! Und wenn sie erst in zwanzig Monaten fällig ist, ich brauche jetzt Geld, Colport! Kommt er selbst?«
»Ich weiß nicht. Er hat nichts davon erwähnt.« Sadi Hafis sah ihn unter müden Augenlidern hervor an.
»Bringt er Lydia mit? Natürlich sagt er davon auch nichts. Schon seit fünf Jahren soll sie kommen, aber er behandelt mich schlechter als Israel Hassim. Ich habe ihm Konzessionen gegeben, mit denen er Gesellschaften gründen konnte! Er verdient Millionen, und alles, was ich von ihm zu sehen bekomme, ist diese vierteljährliche Rente! Was habe ich vor Jahren für Hamon alles getan! Fragen Sie ihn danach!«
Colport hörte ruhig zu. Sadi klagte ständig und erzählte immer von geheimnisvollen Diensten,
Weitere Kostenlose Bücher