043 - Der Mann von Marokko
verabschiedete sich. Er ritt querfeldein nach No Man's Hill.
Es war eine merkwürdige Laune von ihm, daß er von dem sonst üblichen Weg abbog und auf die Höhe des Hügels ritt. Er hatte plötzlich ein Bedürfnis nach Einsamkeit, die er dort oben zu finden hoffte.
Als er jedoch auf die offene Wiese kam, sah er sich unerwartet Lady Joan gegenüber. Sie saß im Sattel, schaute ihn mit einem merkwürdigen Lächeln an und lachte schließlich laut über sein erstauntes Gesicht.
»Mein Vater ist gestern abend nach Creith zurückgekommen«, sagte sie, »und unser gewöhnliches Leben hier auf dem Land hat wieder begonnen. Wir erwarten, daß auch Hamon jeden Augenblick hier erscheint.«
»Da kann ich Ihnen ja gratulieren!«
»Wissen Sie schon, daß in der letzten Nacht in London wieder eingebrochen wurde? Es sah einer Ihrer Heldentaten recht ähnlich!«
Sie schaute ihn bei diesen Worten durchdringend an.
»Eine schlechte Nachahmung. Wollen Sie mich denn für jeden Einbruch verantwortlich machen -?«
»Waren Sie es?«
Lachend stieg er vom Pferd.
»Sie sind eine sehr wißbegierige junge Dame - aber ich werde Ihre Neugierde nicht befriedigen.«
»Dann waren Sie es also doch!« Sie seufzte. »Ich fürchtete es schon. Hier im Dorf sind allerdings alle überzeugt, daß Sie Wold House nicht verlassen haben.«
»Ich war aber tatsächlich vorige Nacht in London. Was ich auch sonst Böses getan haben mag - ein gutes Werk habe ich wenigstens vollbracht. Ich bewahrte einen jungen Mann davor, wegen Trunkenheit verhaftet zu werden, und ich habe ihn zu der guten Mrs. Cornford zurückgebracht.«
Sie wurde auffallend blaß.
»Das war sehr lieb von Ihnen«, sagte sie leise.
»Kennen Sie den Mann?«
Sie antwortete nicht.
»Hat er Grund, Sie zu hassen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Joan, haben Sie Sorgen oder Schwierigkeiten?«
»Sorgen habe ich immer«, erwiderte sie leichthin. »Schon so lange ich denken kann, war das so!«
»Sie weichen mir aus. Aber vielleicht sagen Sie mir etwas anderes?« Es wurde ihm schwer, die richtigen Worte zu finden. »Wenn ich nicht - wenn ich ein ehrbares Mitglied der Gesellschaft und von Ihrem Stande wäre . . . würden Sie mich dann heiraten?«
Sie sah ihn traurig an.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil. . . Sie sprachen eben über Ferdie Farringdon.« Sie war kaum fähig, weiterzusprechen. »Ich bin mit ihm verheiratet!« sagte sie dann, wandte ihr Pferd und ritt in vollem Galopp den Hügel hinunter.
31
Er mußte träumen! Das konnte doch nicht wahr sein! Es war zu absurd. Sie wollte ihn ebenso erschrecken, wie sie Lydia Hamon erschreckt hatte. Sicherlich war das nicht wahr . . .
Er hielt wieder vor dem Hause von Mrs. Cornford. Er hätte ja hineingehen, sich Gewißheit verschaffen können, aber eben sah er den Doktor aus der Tür kommen. Der alte Mann nickte ihm freundlich lächelnd zu.
»Wie geht es Ihrem Patienten?« fragte Jim.
»Sehr schlecht. Ich fürchte, er hat Angina. Er ist kraftlos und kann der Krankheit keinen Widerstand entgegensetzen. Ein merkwürdiger Kerl, dieser Farringdon! Hat eine Hochschule besucht, aber die Haare würden Ihnen zu Berge stehen, wenn Sie gehört hätten, was er im Delirium redete. Wissen Sie eigentlich etwas von Mitternachtsmönchen?«
»Wovon?«
»Von Mitternachtsmönchen. Sie sind doch weit in der Welt herumgekommen. Es muß irgendeine Geheimgesellschaft sein. Er hat die ganze Zeit davon geschwatzt. Eigentlich dürfte ich ja nicht darüber sprechen. Neben den Mitternachtsmönchen erwähnte er immer noch den Namen Joan.«
Jim sagte nichts darauf, und der Arzt verabschiedete sich.
Tief in Gedanken versunken ritt Morlake weiter. Joan hatte ihn erschrecken wollen, das war die einzige Erklärung. Hierbei blieb er und betrog sich selbst.
Er bog nach Wold House ein, als ein großer italienischer Wagen an ihm vorbeifuhr. Einen kurzen Augenblick konnte er den Mann sehen, der darin saß. Hamons Anwesenheit würde hier niemand Glück bringen, ihm am allerwenigsten.
»Polizeibeamte waren hier!« sagte Binger, der ihm auf der Zufahrtsstraße entgegenkam, etwas theatralisch.
»Wer denn? Spooner und Finnigan?«
»Die beiden und noch einer. Der wollte wissen, ob Sie letzte Nacht ausgegangen seien. Aber ich wußte ja ganz genau, daß Sie hier waren, und habe das auch zu Protokoll gegeben.«
»Wann sind sie fortgegangen?«
»Sie sind noch in Ihrem Arbeitszimmer. Der eine Herr sagte, daß er sich nicht wohl fühle und sich ein wenig hinsetzen müsse.
Weitere Kostenlose Bücher