043 - Der Mann von Marokko
einen reizenden Brief geschrieben, und es tut mir jetzt leid, daß ich ihn so scharf angefaßt habe.«
»Vermutlich sprichst du von Hamon?« meinte Joan lächelnd, nahm den Brief und las.
›Ich fürchte, daß ich Ihnen in den letzten Tagen sehr auf die Nerven gefallen bin, aber es ist so viel passiert, daß ich selbst nervös wurde. Hoffentlich denken Sie nicht zu schlecht von mir. In ein oder zwei Jahren werden wir uns darüber amüsieren, wie absurd es war, mich mit der Ermordung Marbornes in Verbindung zu bringen. Unvorhergesehenerweise bin ich nach Amerika gerufen worden, und meine Pläne haben sich dadurch vollkommen geändert, da ich ursprünglich mit meiner Jacht ins Mittelmeer fahren wollte. Ich möchte Ihnen nun anbieten, statt meiner die Fahrt nach dem Süden zu machen. Sie werden ganz allein reisen, und ich bin sicher, daß es eine angenehme Abwechslung für Sie ist. Es tut mir nur unendlich leid, daß weder ich noch meine Schwester Sie begleiten können. Das Schiff heißt ›L'Esperance‹ und wird am nächsten Dienstag Southampton anlaufen. Darf ich Sie bitten, die Jacht als Ihr Eigentum zu betrachten?‹
»Wenn ich die Reise mit ihm hätte machen sollen, würde ich natürlich höflich abgelehnt haben«, sagte der Lord vergnügt. »Aber so ist das doch etwas anderes -meinst du nicht auch, Liebling?«
Da er ihre Abneigung gegen Hamon kannte, erwartete er eigentlich Widerspruch von ihrer Seite und war angenehm überrascht, als sie sich seiner Ansicht anschloß. Der dauernde Aufenthalt in Creith wurde ihr allmählich unerträglich. Der Gedanke an Ferdie Farringdon quälte sie, ebenso der Gedanke an Jim, den sie in letzter Zeit nicht mehr gesehen hatte.
Die erste Nachricht von der beabsichtigten Reise bekam Jim Morlake wie gewöhnlich durch Binger.
»Es scheint, daß diese Jacht von Hamon nur geliehen wurde.«
»Meinen Sie, daß er das Schiff gechartert hat?«
»Wenn meine Informationen stimmen, ist es so.«
»Wahrscheinlich haben Sie sich verhört - wohin soll denn die Reise gehen?«
»Ins Mittelmeer. Mr. Hamon und seine Schwester reisen nach Amerika.«
»Ins Mittelmeer?« Jim schaute nachdenklich auf seinen Pfeifenkopf. »Das heißt doch . . . wann wollen sie denn abreisen?«
»Am Sonnabend.«
»So, so!«
Das Mittelmeer bedeutete Tanger, und Tanger wiederum war für Jim gleichbedeutend mit Sadi Hafis und dem prachtvollen Palast in den Rifbergen.
37
»Eine Dame wünscht Sie zu sprechen«, sagte der Butler leise.
Jim schloß daraus, daß ein ungewöhnlicher Besuch gekommen war.
»Wer ist es denn?«
»Lady Joan.«
Jim sprang auf.
»Warum haben Sie die Dame nicht sofort hereingebeten?«
»Sie wollte nicht hereinkommen. Sie ist draußen und fragte mich nur, ob sie Sie sprechen könne.«
Jim eilte hinaus. Joan stand am Flußufer, hatte die Hände auf dem Rücken und schaute ins Wasser. Als sie seine Schritte hörte, wandte sie sich um.
»Ich möchte gern mit Ihnen sprechen. Wollen wir über den Fluß gehen? Ich bin auf dem Heimweg, und Sie könnten mich bis zu der Baumgruppe dort begleiten.«
Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her.
»Ich habe Sie neulich auf No Man's Hill so plötzlich verlassen«, sagte Joan endlich. »Ich glaube, daß ich es Ihnen schuldig bin, meine Geschichte zu Ende zu erzählen.«
Dann berichtete sie ihm mit fast denselben Worten alles, was sie ihrem Vater mitgeteilt hatte. Er lauschte bestürzt.
»Die Trauung könnte annulliert werden«, erwiderte er.
»Mein Vater hat mir das auch gesagt, und vermutlich erscheint Ihnen die Sache sehr einfach. Aber für mich bedeutet es, daß ich vor Gericht aussagen muß und daß diese ganze böse Geschichte Punkt für Punkt erörtert wird.« Sie zitterte. »Ich glaube, das könnte ich nicht. Ich bin feige, wissen Sie.«
»Ich habe Sie nie dafür gehalten. Nein, Joan, nan ist noch nicht feige, weil man vor den Häßlichkeiten des Lebens zurückschreckt. Sie wollen verreisen, nicht wahr?«
»Ich möchte eigentlich nicht fort, aber ich glaube, für meinen Vater ist es gut. Das Winterklima hier bekommt ihm nicht. Zuerst dachte ich, daß eine hinterhältige Absicht Hamons dabei sei, aber er geht ja nach Amerika. Er ist gerade bei meinem Vater, um sich zu verabschieden.«
»Deshalb habe ich wohl auch den Vorzug, mit Ihnen zusammen zu sein?« fragte er lachend.
Aber sie protestierte energisch.
»Nein, ich wäre unter allen Umständen gekommen, ich mußte Ihnen doch noch diese Aufklärung geben.«
»Wie geht es denn
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