043 - Der Mann von Marokko
nächsten Tag in London treffen solle. Er wartete, bis es dunkel war, und ging dann zu Mrs. Cornford. Sie selbst öffnete, erkannte ihn aber in der Dunkelheit zuerst nicht.
»Ich möchte Sie sprechen, Mrs. Cornford.«
»Wer sind Sie denn?«
»Ralph Hamon.«
Sie stand einen Augenblick reglos, aber dann öffnete sie die Tür weiter.
»Treten Sie ein«, sagte sie und ging hinter ihm in das Wohnzimmer.
»Sie haben sich nicht sehr verändert«, begann er und überlegte krampfhaft, wie er fortfahren könne. »Sie sind mir wohl noch sehr böse?«
»Nein«, antwortete sie ruhig. »Aber warum setzen Sie sich nicht, Mr. Hamon?«
»Ich wüßte auch nicht, warum Sie mir böse sein sollten. Ich habe doch für John alles getan, was ich nur tun konnte.«
»Wo ist er?«
»Ich weiß es nicht - ich nehme an, daß er tot ist.«
Sie zuckte unter seinen Worten zusammen.
»Ich glaube auch, daß er tot ist«, sagte sie dann leise. »Aber vor zwölf Jahren lebte er doch noch. Was ist aus seinem Geld geworden, Mr. Hamon?«
»Er muß es verloren haben«, erklärte er ungeduldig. »Ich sagte es Ihnen doch schon früher.«
Sie ließ ihn nicht aus den Augen.
»Er schrieb mir aus Marokko, daß er die Mine gesehen habe und daß sie eine glänzende Sache sei. Einen Monat später teilte er mir aus London mit, daß er alles mit Ihnen abmachen wolle. Und dann hörte ich nichts mehr von ihm.«
»Er verschwand - das ist alles, was ich von ihm weiß. Er wollte in mein Büro kommen, um den Kauf der Aktien zu vollziehen, aber er erschien nicht. Ich telegrafierte Ihnen ja damals und fragte bei Ihnen an, wo er sein könne.«
»Ich weiß nur, daß er hunderttausend Pfund von der Bank abgehoben hatte, daß aber weder er noch das Geld jemals wieder zum Vorschein kam. Ich will nicht gerade behaupten, Mr. Hamon, daß mein Mann und ich sehr glücklich waren - er war ein zu ruheloser Geist und hatte zuviel Freunde, sowohl unter den Männern als auch unter den Frauen. Außerdem trank er. Aber er war doch in mancher Beziehung auch gut und gewissenhaft, und er hätte mich niemals ohne Geld zurückgelassen.« Hamon zuckte die Schultern.
»Warum sind Sie denn damals nicht zur Polizei gegangen?« fragte er freundlich. »Wenn Sie irgendwelchen Zweifel über meine Person hatten ?«
Sie schaute ihn mit verächtlichem Lächeln an. »Sie baten mich doch selbst, nicht zur Polizei zu gehen - ich sehe erst jetzt ein, wie töricht ich damals handelte. Sie baten mich, um meinetwillen und auch um der Verwandten meines Mannes willen nichts zu unternehmen, und vor allem nicht in die Zeitungen zu bringen, daß er vermißt wurde.«
»Habe ich denn nicht in allen Zeitungen annonciert? Habe ich nicht meine Beauftragten nach Monte Carlo, nach Aix, nach Deauville geschickt - nach jedem Ort, wo es Spielbanken gab und wo er sich aufhalten konnte?« fragte er mit gespielter Entrüstung. »Mrs. Cornford, ich glaube, Sie tun mir unrecht.«
Es war nutzlos, ihm zu antworten. Er hatte sie damals von ihren Nachforschungen so lange abgehalten, bis selbst die tüchtigsten Detektivagenturen Englands nicht mehr imstande waren, ihr zu helfen. Einst war sie eine reiche Frau gewesen, hatte ein eigenes, vornehmes Haus besessen und ein großes Einkommen gehabt.
Wäre John Cornford ein Geschäftsmann wie andere gewesen, so hätte sie sofort die Polizei alarmiert. Aber er kümmerte sich wenig um seine Familie und verschwand manchmal auf längere Zeit, ohne daß jemand wußte, wo er sich aufhielt. Während ihres Zusammenlebens hatte sie gelernt zu schweigen.
»Warum sind Sie jetzt zu mir gekommen?« fragte sie. »Weil ich die Angelegenheit ein für allemal regeln will. Ich fühle mich bis zu einem gewissen Grad verantwortlich, weil ich ihn nach London zurückbrachte. Würden Sie mir den Brief zeigen, den er Ihnen damals schrieb?« Sie schüttelte den Kopf.
»Sie haben mich schon früher danach gefragt, Mr. Hamon. Er ist aber das einzige Beweisstück dafür, daß mein Mann nach England zurückkehrte. Vor einiger Zeit wurden Sie von jemand gefragt, was aus Mr. Cornford geworden sei, und Sie erklärten, daß er in der Wüste von Marokko verschwunden sei. Hunderte von Leuten, die ihn kannten, leben in der Überzeugung, daß er dort drüben gestorben ist.«
»Mrs. Cornford, wenn Sie mich den Brief lesen lassen, erzähle ich Ihnen die volle Wahrheit über Johns Tod.«
»Dann wissen Sie also genau, daß er tot ist?« fragte sie heiser.
»Ja. Er ist vor zehn Jahren gestorben.«
Sie schien
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