043 - Der Mann von Marokko
Joan war nicht da. Dann stürzte er die Treppe wieder hinunter. Er wußte, bevor Sadi noch feuern konnte, was sich ereignen würde, denn er hatte das unverzeihliche Verbrechen begangen, in den Harem eines orientalischen Großen einzudringen.
»Steck deine Pistole ein, oder du wirst sterben!« rief er.
Sadi feuerte nach der Stelle, wo Jim gestanden hatte, aber als dieser dann unerwartet wieder hinter einer Säule erschien, hob er die Hände in die Höhe. Im nächsten Augenblick warf sich Jim auf ihn und nahm ihm die Waffe ab.
»Nun - wo ist Joan Carston?«
»Ich sagte dir schon, daß ich es nicht weiß.«
Vor der Tür sammelte sich eine Schar furchtsamer Diener. Jim warf die Tür schmetternd ins Schloß und schob die Riegel vor.
»Wo ist Joan Carston?«
»Sie ist fortgegangen«, erwiderte Sadi dumpf.
»Du lügst - sie hatte noch keine Zeit fortzugehen.«
»Sie war nur eine Minute hier, dann ging sie in die Straße der Schulen - ein Tor führt von meinem Hause dorthin.«
»Mit wem ist sie fortgegangen?«
»Das weiß ich nicht.«
Jim stand drohend vor ihm, und seine Augen sprühten Zorn.
»Sadi«, sagte er langsam und nachdenklich, »kennst du Zafuri? Gestern abend erzählte er mir, daß er deinen Kopf abschlagen wird, weil du ihn bei der Regierung verraten hast. Auch hast du Geld von ihm genommen, um Gewehre für ihn zu kaufen, und du hast das Geld für dich verbraucht. Wenn du mir jetzt die Wahrheit sagst, werde ich dir das Leben retten.«
»Mir ist schon so oft gedroht worden, Milaka«, entgegnete Sadi wieder kühner. »Und was ist mir geschehen? Ich bin noch immer am Leben. Und ich erkläre dir noch einmal, ich weiß nichts von dieser Dame.«
»Du hast doch eben gesagt, daß sie hier im Hof war und daß man sie durch die Tür dort in die Straße der Schulen gebracht hat! Wer hat sie mitgenommen?«
»So wahr Allah lebt, das weiß ich nicht!« rief Sadi.
»Das wirst du büßen, Sadi Hafis!«
Donnernd warf er die Tür ins Schloß und ging aus dem Haus über den Hof. Er sah, daß Sadi wenigstens insofern die Wahrheit gesagt hatte, als noch eine andere Tür nach der engen Straße führte. Dann erinnerte er sich plötzlich daran, daß Joans Vater Leute gesehen hatte, die eine schwere Kiste trugen. Nachforschungen ergaben, daß vier Männer in der nächsten Straße den Kasten auf einen Wagen geladen hatten, der schon den ganzen Morgen dort gewartet hatte. Ein Kameltreiber, der in der Nähe geruht hatte, bestätigte diese Angabe und sagte, daß sich in dem Kasten etwas bewegt habe. Er habe die Männer nach dem Inhalt gefragt, und sie hätten geantwortet, daß sie Hühner trügen.
Jim eilte durch die Menge, die sich auf dem Markt angesammelt hatte, und verschwand unter den Leuten. Zehn Minuten später sah Lord Creith ein großes Auto in schnellstem Tempo die Straße entlangrasen: Jim saß am Steuer.
»Ich fand den Wagen vor dem Hotel d'Angleterre«, rief er atemlos. »Gott weiß, wem er gehören mag.« Lord Creith sprang schnell hinein.
Jim fuhr die Straße nach Fes entlang. Er konnte die Spuren des Wagens noch zehn Meilen von Tanger entfernt verfolgen. »Dort steht der Wagen ja«, sagte er plötzlich. Die Leute hatten ihn stehengelassen, aber die Kiste stand noch darauf. Jim hielten. Er sah sofort, daß sie leer war; der Deckel lag im niedrigen Gestrüpp an der Seite des Weges. Als er in die Kiste sah, fand er da einen weißen Schuh. »Er gehört Joan!« rief Lord Creith, als Jim ihm den Fund zeigte.
46
Joan Carston schlenderte langsam hinter ihrem Vater her. Sie gingen gerade an einer Gartenmauer vorbei, als sich eine Tür öffnete. Einen Augenblick hielt Joan an, um in den Hof zu sehen. Zuerst war sie sehr enttäuscht, aber im Eingang erschien eine Frau, die sie freundlich anlächelte, die Tür aufhielt und eine einladende Handbewegung machte, als ob hier etwas Schönes zu sehen sei. Jbans Neugierde erwachte, und sie trat ein. Plötzlich wurde aber das Tor hinter ihr zugeschlagen, eine große, schwarze Hand bedeckte ihren Mund, und sie wurde von der Türschließerin festgehalten.
Bevor ihr zum Bewußtsein kam, was eigentlich geschah, kamen vier Männer auf sie zu, banden ihre Füße mit einem Tuch zusammen und legten ihr ein großes Baumwollbündel auf das Gesicht, das sie am Sehen und Atmen hinderte.
Sie sah ein, daß es zwecklos war zu kämpfen, und blieb ruhig liegen, als ihr auch die Hände zusammengeschnürt wurden. Man hob sie auf, nahm die Baumwolle von ihrem Gesicht und band ihr ein
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