0430 - Vampir-Geschwister
»Die beiden Söhne sind mitgegangen.«
McFisher merkte, daß ich mich aufregte, und winkte ab. »Sie müssen Geduld haben, Sinclair«, sagte er. »In diesem Ort laufen auch Polizeiaktionen nicht so ab wie bei Ihnen in London.«
»Das habe ich auch bemerkt«
»Ich kann Sie ja hinbringen«, sagte der Konstabler, der sich in seiner Rolle nicht mehr wohl fühlte und etwas gutzumachen hatte.
»Darum möchte ich auch gebeten haben«, erklärte ich.
Gegen McFishers Begleitung hatte ich nichts einzuwenden. Wo konnte man eine Leiche hinschaffen? Ins Leichenschauhaus. Sicherlich gab es so etwas hier nicht, deshalb fragte ich.
McFisher gab die Antwort. »Wir haben hinter der Kirche eine kleine Leichenhalle. Die stellt praktisch die Nordgrenze des Friedhofs dar.«
»Betty liegt noch nicht im Sarg«, erklärte der Konstabler.
Die Kirche war nicht zu verfehlen. Wir erreichten den kleinen Vorplatz, auf dem ein Kreuz aus Stein stand, und gingen an der Kirche vorbei.
Der Schatten des Leichenhauses fiel schräg gegen den Boden. Es war ein schmuckloser Backsteinbau, auf dem Dach ragte ein dunkles Kreuz in den Himmel.
Die Tür stand offen. Dahinter war es düster, und ich verspürte plötzlich einen leichten Druck im Magen.
Da ich als erster ging, stieß ich auch zuerst mit dem Fuß gegen das weiche Hindernis am Boden.
Es war ein Mensch!
Auch meine Begleiter hatten es gesehen. »Das ist doch Jack Cernach!« stieß Parker hervor. »Der Sohn…«
»Bleiben Sie bei ihm«, sagte ich, sprang über ihn hinweg und lief in das Innere der Leichenhalle.
Schon nach wenigen Schritten hörte ich das Lachen und auch die flüsternde und gleichzeitig rauhe Frauenstimme.
»Damit hast du nicht gerechnet, mein Sohn, nicht? Aber ich kriege dich, du bist dran…«
Über meinen Rücken rann ein Schauer. Ich konnte mir gut vorstellen, was dieser Dialog bedeutete, und die Antwort bestätigte mich in meiner Annahme.
»Mutter, du bist doch tot - oder?«
Sie lachte leise.
Ich vernahm das Stöhnen des Mannes. »Mutter, sag etwas. Wir haben dich liegen sehen, dein Herz hat nicht geschlagen. Sag was, bitte, sonst werde ich noch verrückt.«
Ich hatte mich gegen die Wand gepreßt und verhielt mich zunächst einmal still. Die Leichenhalle war nicht sehr lichtdurchlässig gebaut worden.
Es waren kaum Fenster vorhanden, deshalb überwog die Düsternis.
Ich fand einen Lichtschalter, betätigte ihn, doch es tat sich nichts.
In einer Leichenhalle mußte es Kreuze geben. Sie war also kein guter Aufenthaltsort für einen Vampir. Ich tastete mit meinen Blicken die Wände ab, sah aber keinen Umriß, der auf ein Kreuz hingedeutet hätte.
Als ich zur Tür blickte, zeichneten sich dort die Umrisse meiner beiden Begleiter ab.
Sie hatten sich gebückt und schleiften den bewegungslosen Jack Cernach von der Türschwelle weg.
Ich hoffte nur, daß wir es bei ihm nicht auch noch mit einem Blutsauger zu tun hatten.
Mutter und Sohn sah ich nur als Schatten. Die Mutter links, den Sohn rechts von mir. »Ich komme, Kleiner«, hörte ich ihr Flüstern. »Du wirst dich wundern…«
Noch blieb ich ruhig, bewegte mich aber so leise wie möglich in die Richtung der beiden so unterschiedlichen Personen.
Die Frau trieb ihren Sohn in die Enge. Es herrschte eine Vampir-Düsternis, für Wesen aus dem Schattenreich genau richtig. Die schweren Atemzüge des Jack Cernach durchdrangen den Raum. Er mußte stark unter diesem Druck leiden und blieb stehen, als er mit dem Rücken eine Wand berührte. Erst jetzt erkannte ich, daß er etwas in der rechten Hand hielt. Vielleicht eine Stange oder ein Stück Holz.
Der Mutter war es gelungen, ihren Sohn in die Enge zu treiben. Sie freute sich schon auf sein Blut und sagte es Jack auch voller Freude.
»Bald ist es soweit!« keuchte sie. »Dann nehme ich dich mit ins Reich der Finsternis. Auch du wirst erleben, wie herrlich das ist. Ja, ich nehme dich mit. Erst dich, danach deinen Bruder, den ich niedergeschlagen habe, und dann die anderen. Alle hole ich mir aus dem Dorf. Wir Vampire werden hier unsere Heimat finden…« Die restlichen Worte gingen in einem Gemurmel unter, aber ich hatte sie sehr genau gehört.
Betty Cernach hatte in der Mehrzahl gesprochen. Sie war also nicht der einzige Blutsauger, der sich in Wark herumtrieb. Klar, irgend jemand mußte sie ja zu einem Vampir gemacht haben. Es wäre für mich ein Leichtes gewesen, sie zu vernichten, aber das wollte ich noch nicht.
Ob sie mich bemerkt hatte, war nicht
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