0430 - Vampir-Geschwister
und auch von Ihnen eine Antwort haben, wenn es möglich ist. Schauen Sie genau her.«
Er sah mir zu, wie ich unter meine Kleidung griff und etwas hervorholte. Es war mein Kreuz, das auch auf der Abbildung vorhanden war. Es hing an der schmalen Silberkette, und ich legte es neben das Siegel auf den Tisch zwischen uns. »Bitte sehr, Mr. McFisher.«
Der Mann war so perplex, daß er kein Wort mehr hervorbrachte. Er starrte das Kreuz an, als würde er sich davor fürchten.
Zwischen uns stand das Schweigen. Der Hund hatte sich auf dem Teppich zusammengerollt und schlief.
»Ich kann es einfach nicht glauben!« flüsterte der alte Lehrer. »Aber das muß es sein.«
»Was genau?«
»Das Kreuz des Richard Löwenherz. Das hat er getragen auf seinen Reisen und bei seinen Kämpfen. Aber wie kommen Sie daran, Mr. Sinclair? Das ist mir unverständlich.«
»Und eine sehr lange Geschichte.«
»Ich habe Zeit.«
»Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht sämtliche Einzelheiten erzählen. Zum Teil weiß ich sie selbst nicht, obwohl mir das Kreuz gehört.«
»Nein, Richard!« unterbrach er mich.
»Jetzt mir. Wahrscheinlich bin ich das letzte Glied einer langen Kette. Ich weiß es nicht, aber man hat mich einmal als Sohn des Lichts bezeichnet, Mr. McFisher.«
»Was ist das?«
»Die Frage ist sehr gut. Ich möchte ebenfalls noch herausfinden, was es bedeutet, doch es ist ein langer Weg zum Ziel. Vielleicht sogar zu lang für ein Leben.«
»Wer sind Sie, Mr. Sinclair?« Der Lehrer schien meiner letzten Antwort überhaupt nicht zugehört zu haben.
»Vielleicht der Nachfolger von Richard Löwenherz.«
»Das kann ich nicht glauben.«
»Auch mir fällt es schwer, aber ich bin nicht der einzige gewesen, der das Kreuz im Laufe der langen Irrfahrt besessen hat. Ich kenne noch jemanden.«
»Und wen?«
»Einen Franzosen, der im auslaufenden Mittelalter gelebt hat. Hector de Valois.«
Fred McFisher überlegte. Er murmelte den Namen einige Male hintereinander. »Ja, ich glaube, ihn schon gehört zu haben. Hector de Valois. Konnte man nicht auch ihn zu den Templern zählen?«
»Genau.«
»Und Sie?«
»Das ist eine schwere Frage, Mr. McFisher. Ich stamme aus Schottland. Vielmehr meine Eltern. Sie als Historiker wissen genau, daß die Schotten dem katholischen Glauben beigetreten sind und ihn auch behalten haben. Mit den Templern hatte ich bisher nichts im Sinn. Ich wußte, daß es sie gab, aber ich bin nun gezwungen worden, mich näher mit ihnen zu beschäftigen. Dabei erhebt sich die Frage, ob nicht alle Menschen, die einen Glauben haben, gleich sind. Ich bin nicht so vermessen und behaupte, daß mein Glaube der einzig Richtige ist. Dafür habe ich zuviel kennengelernt.«
Das Telefon schrillte. Unwirsch reagierte Fred McFisher. »Ausgerechnet jetzt.« Er sah so aus, als wollte er es läuten lassen, ich aber bat ihn, abzuheben.
»Ja, natürlich.«
Er meldete sich, lauschte einen Moment und faßte sich dabei an den Hals. »Was ist das? Eine Tote?«
Ich drückte mich aus dem Sessel hoch, packte das Kreuz und das Siegel ein, denn ich hatte plötzlich das Gefühl, als wäre die friedliche Stille vorbei.
»Gut, Parker, ich sage ihm Bescheid. Ja, ich komme auch mit, damit er den Ort findet.« Dann legte der pensionierte Lehrer auf.
»Was ist denn los?« fragte ich ihn.
»Man hat Betty Cernach gefunden. Sie ist die Frau eines Holzhändlers. Sie war tot, einfach so.« Er starrte ins Leere.
»Wirklich nur so?« fragte ich.
»Ja, sie sah bleich aus, meinte Parker, und an ihrem Hals konnte man Blutflecken sehen.«
Ich schnickte mit den Fingern. »Mr. McFisher, ich will Sie ja nicht unnötig beunruhigen, aber ich glaube, wir sollten uns jetzt beeilen…«
***
Auf dem Hof standen mehrere Personen, die nicht wußten, was sie sagen sollten. Betretene Gesichter, in denen sich Trauer und Entsetzen abzeichneten, redeten eine deutliche Sprache und zeugten von dem Schrecklichen, das hier geschehen war.
Ich sah einen grauhaarigen Mann weinen.
Wahrscheinlich war es der Ehemann der Toten, die wir nicht entdecken konnten.
Konstabler Parker trat auf uns zu. Er schwitzte. Hilflos hob er die Schultern. »Es tut mir leid, aber die Dinge haben sich schrecklich entwickelt.«
»Wo liegt die Leiche?« fragte ich ihn.
Er deutete auf den Schuppen. Das Tor stand offen. Holzgeruch strömte hervor und geriet in unsere Nasen. »Dort ist es passiert. Ich habe sie schon wegbringen lassen.«
»Weshalb?«
»Die Familie wollte es so.« Er räusperte sich.
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