0438 - Schlangenhand
sich der Blick des Mannes. »Öffnen!« forderte er.
Das tat Jorge sehr gemächlich, er wollte die Spannung erhöhen.
Plötzlich blickten beide auf das Amulett mit dem Abdruck des Verräters Vasco, der seine rechte Schlangenhand ausgestreckt hielt. Schlangen bildeten die vier Finger. Sehr deutlich sahen sie die kleinen Köpfe, die sich sogar bewegten.
Das Amulett lebte…
Nina trat einen Schritt zurück. Ihr war die Sache unheimlich geworden.
Vor Angst rann ihr der Schweiß über das Gesicht.
Auch innerhalb der Kaschemme hatte sich einiges verändert Das Licht der Lampen blakte zwar noch, doch durch den Raum schien ein Hauch zu gleiten, der die Flammen berührte und sie tanzen ließ.
Sie bewegten sich von einer Seite auf die andere, fingen an, große Schatten zu zaubern, die als gespenstische Figuren über die Wände huschten.
Nina sah sich um. Auch über die Tür liefen Schatten. Zudem schien das Holz zu zittern, als würde jemand von außen dagegendrücken, er aber zu schwach war, um die Tür zu öffnen.
Das Mädchen ging noch einen Schritt nach hinten. Wieder wandte sie sich der Tür zu. Sie hatte es lange genug ausgehalten. Jetzt wollte sie weg, raus aus dieser verfluchten Kaschemme, in der das blanke Entsetzen zu Hause war.
Hinter der Tür winkte die Freiheit.
»Bleib!« sagte Jorge, ohne sie anzusehen, denn seine Blicke wechselten zwischen dem Amulett und dem Gesicht des Wirts hin und her.
»Nein, ich gehe! Ich kann nicht mehr.«
»Du mußt!« schrie Jorge. »Es ist gefährlich. Der Zauber hat uns eingeholt.«
Nina war durch die heftig gesprochenen Worte so geschockt, daß sie tatsächlich ihren Schritt verhielt.
Es war still geworden.
Und deshalb hörte sie auch das Geräusch oder die Geräusche so deutlich, die von vier verschiedenen Seiten auf sie eindrangen. Es war ein geheimnisvolles Zischeln und ein Reiben verschiedener Körper gegeneinander. Eine Erklärung fand sie nicht so schnell, bis ihr plötzlich klarwurde, daß sich so eigentlich Schlangen anhörten.
Waren sie da?
Nina legte den Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Sie suchte zuerst die Decke ab, danach die Wände und wartete darauf, daß sich die Schlangen zeigen würden.
Noch hielten sie sich zurück.
Aber sie waren in der Nähe. Das Zischeln und Reiben nahm sogar noch an Lautstärke zu, als würden die gefährlichen Tiere einen Kreis um sie bilden, den sie enger zogen.
»Was… was ist das?« fragte sie stotternd. »Hört ihr es auch, das Zischeln?«
»Ja«, sagte Jorge. »Bleib lieber hier.«
»Sind es Schlangen?«
Diesmal gab der Wirt die Antwort. »Natürlich sind es Schlangen, kleine Senhorita. Oder hast du an etwas anderes gedacht? Das sind die Schlangen des Verräters, denn er ist der Mann mit der Schlangenhand. Hast du verstanden? Sein Geist lauert überall.«
Nina nickte, während sie gleichzeitig nachdachte und feststellte, daß sie ihren ersten Schock überwunden hatte. Sollten die beiden reden, sie jedenfalls wollte nicht mehr. Sie hatte Jorge an sein Ziel begleitet. Mehr konnte er nicht verlangen. Sie ging auf die Tür zu. Diesmal nicht so langsam, sie wollte es wissen.
»Nina, Nina!«
Der Warnschrei des jungen Mannes erreichte sie in dem Augenblick, als sich von der Decke, aus diesem alten Gebälk, etwas löste und auf sie niederklatschte.
Es war eine Schlange!
***
Nina konnte vor Entsetzen nicht schreien. Sie blieb stumm. So fand die Schlange Zeit, sich heftig zu bewegen und sich wie ein Schal um ihren Hals zulegen.
Zweimal wickelte sie sich darum, während das Mädchen auf der Stelle stand und die Arme abgespreizt hatte. Der Kopf lag noch im Nacken.
Dabei glitt der Blick starr in die Höhe. Sie schaute gegen das Gebälk und hatte das Gefühl, als befänden sich die Holzbalken in Bewegung. Das stimmte nicht. Es waren die Schlangen, die aus ihren Verstecken krochen und jetzt über die Holzbalken glitten. Etwas hatte sie gestört, vielleicht war es die versuchte Flucht des Mädchens gewesen.
Der Wirt lachte leise. Er bewegte dabei seine Finger, als wären sie ebenfalls Schlangen.
Jorge aber drehte den Kopf. Es war gut, daß sich Nina nicht gerührt hatte. So gab sie der Schlange keinen Grund, sie anzugreifen. Er sah den Kopf, die beiden aufgeklappten Kiefer, in denen so viel Kraft steckte, und er sah auch die gespaltene Zunge, die aus dem Maul huschte.
Noch hatte sie Nina nichts getan. Zudem stand seine Begleiterin unter Schock, was ihr in dieser Lage nur helfen konnte.
»Nicht bewegen!«
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