0439 - Das Folterbett
schrecklichen Lage zu befreien. Zudem vibrierte und zitterte das Bett, als hätte es irgendeinen Befehl bekommen. So etwas wie Leben war in diese Liegestatt eingedrungen, und dieses Leben sonderte gleichzeitig etwas Böses ab, das sich mit der schwarzen Alpwolke vermischte.
Einige Sekunden später spürte er den rasenden Schmerz in seinem rechten Bein. Etwas war von unten her in seinen Oberschenkel gefahren und hatte ihn durchbohrt.
Der Schmerz war so wild und grausam, wie er ihn noch nie zuvor kennengelernt hatte. Als der Hosenstoff nass und klebrig wurde, wusste der Mann, dass es sich um Blut handelte.
Um sein Blut…
Die Wogen kamen. Sie drangen in den auf seiner Brust hockenden Alptraumschatten, und der heiße Schmerz steigerte sich bis an die Grenze der Bewusstlosigkeit.
Genau das war es.
Max Bender wurde bewusstlos. Das letzte, was er in seinem Leben wahrnahm, war der plötzlich wieder freie Anblick auf die Zimmertür.
Sie wurde aufgedrückt. Eine Gestalt stand dort und lachte hässlich.
Genau dieses Lachen begleitete Max Bender in den Tod…
***
»Also, du kannst es dir überlegen, Christel. Wir fahren am nächsten Wochenende nach Zürich. Wenn du mit willst, der Wagen ist groß genug. Oder kommt dein Mann zurück?«
»Das weiß ich ja eben nicht.«
»Wo treibt er sich denn herum?« fragte die Nachbarin.
»Kann ich dir auch nicht sagen, Helga. Der ist irgendwo unterwegs. Wahrscheinlich in Norddeutschland. Gestern rief er mich aus Hamburg an.« Das stimmte zwar nicht, aber Christel war auch gezwungen, die Mär vom Vertreterjob ihres Mannes auch den Nachbarn gegenüber aufrechtzuerhalten.
»Dann bist du mal eben nicht da, wenn er kommt. Ist ja nur für einen Tag. Und Zürich, das ist schließlich etwas anderes als das Allgäu, in dem du lebst.«
»Ich bin gern hier.«
»Kann ich mir denken, wir auch.«
Christel Bender lächelte. Sie freute sich über das Angebot ihrer Nachbarn. Im Prinzip hatten sie ja recht. Was nutzte es ihr, wenn sie in dem kleinen Ort versauerte? Man musste mal raus und etwas von der großen weiten Welt schnuppern.
Helgas Mann hatte sich schon verabschiedet und lag im Bett. Die beiden Frauen saßen allein auf der Terrasse. Es war noch Wein im Krug, den sie unbedingt leeren wollten. Helga schenkte Christels Glas wieder voll. »So, meine Liebe, trink noch einen Schluck.«
»Nein, hör auf. Ich merke ihn bereits…«
Helga ließ sich nicht beirren. »Um so besser kannst du anschließend schlafen.« Sie hob ihr Glas an. »Prost und zum Wohle, meine Liebe. Auf unsere Fahrt nach Zürich.«
»Ja, auf unserer Fahrt nach Zürich.«
Eine kleine Glaslaterne stand auf dem runden Tisch zwischen den beiden Frauen. Die Flamme war windgeschützt, sie brannte sehr ruhig.
Helga war zwei Jahre älter und arbeitete halbtags in einer Boutique. Ihr Mann hatte einen leitenden Job bei einer Kunststof firma. Die beiden Kinder lagen in ihren Betten und schliefen. Die Familie führte ein ruhiges Leben, und vor allen Dingen ein geregeltes, wo der Mann am Abend nach Hause kam und auch etwas im Haus und Garten machen konnte.
Manchmal sehnte sich Christel Bender danach, ebenfalls so leben zu können. Doch sie hatte schon bei der Hochzeit gewusst, auf was sie sich einließ, und sie beschwerte sich auch nicht.
»Was macht Ute in der Schule?« fragte Helga.
»Sie schlägt sich so durch. In Mathematik ist sie nicht besonders. Da kommt sie ständig mit einer Vier nach Hause.«
»Na ja, rechnen kann nicht jeder.«
»Ich ja auch nicht.«
»Und das Gymnasium?«
Christel Bender schüttelte den Kopf. »Es kommt nicht in Frage. Ich will die Kleine nicht quälen. Die sind heute so hart, aber das weißt du ja selbst.« Sie griff nach ihrem Glas, nahm einen Schluck und sprach dann weiter. »Wir werden sie zur Realschule schicken, und auch das nur mit einem schlechten Gewissen, aber weder Axel noch ich möchten uns Vorwürfe anhören, wenn Ute mal erwachsen ist.«
»Es ist gut, dass ihr so denkt.«
»Mutti?«
Beide Frauen erschraken, als sie die Stimme der zehnjährigen Ute hörten.
Christel drehte sich auf ihrem Stuhl und stand dann auf. Dabei stieß sie mit dem Knie gegen die Tischkante. Etwas Wein schwappte aus dem Glas und nässte den Stoff ihrer weißen Sommerhose.
Ute Bender stand noch auf dem elterlichen Grundstück, aber direkt an der Grenze zum Nachbarn. Christel ging hin, von den Blicken der Nachbarin begleitet. Vor ihrer Tochter blieb sie stehen. »Solltest du nicht längst im Bett liegen
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