0439 - Das Folterbett
moderne Holztreppe zuging, die in einem gebrochenen Weiß gestrichen war. Ein mit ihm befreundeter Architekt hatte das Haus zu einer Mischung aus Museum und modernem Design gemacht. Jeder neue Besucher staunte, dass er so etwas in der Provinz überhaupt fand.
In dieser Ecke zwischen Lindau und Immenstadt.
Das Bett stand unter dem Dach. Allerdings nicht in dem normalen Verkaufsraum, sondern in einem Nebenzimmer, das ebenfalls ein schräges Dach und ein bis zum Boden reichendes Fenster besaß, so dass der Mann durch die Scheibe über das weite, hügelige Land hinwegschauen konnte und manchmal das Gefühl bekam, als würde er darüber hinwegfliegen.
Es machte ihm Spaß, hier zu leben.
Er öffnete die Tür, roch noch die frische Farbe, mit der die Eisenpfosten des Betts gestrichen worden waren und schaute sich die Liegestatt an.
Achttausend Mark hatte er dafür bezahlt. Im Prinzip ein Wahnsinn. Er konnte sich jetzt noch nicht vorstellen, weshalb er das getan hatte. Es war einfach über ihn gekommen.
Das Bett bestand aus Metall. Es besaß am Fuß- und Kopfende ein Gitter. Es war nicht bekannt, wer alles darin gelegen hatte, in der überwiegenden Anzahl jedoch Strafgefangene, und einige von ihnen sollten auch in diesem Bett gestorben sein.
Bis zum Bad musste Max Bender nur wenige Schritte gehen. Der Tag war schwül gewesen. Er stellte sich unter die Dusche und legte sich dann hin.
Die Matratze knarrte, das Gestell bewegte sich auch, als es den Druck des Körpers verspürte. Fast schien es so, als wollte es gegen die Behandlung protestieren.
Max Bender sank zurück und legte seinen Hinterkopf auf das Kissen.
Seine Augen waren gegen die Decke gerichtet. Das Licht hatte er gelöscht. Dennoch war es nicht Völlig dunkel im Raum. Durch das Fenster sickerten hellgraue Schatten, die sich in dem Zimmer ausbreiteten und das Gesicht des Liegenden berührten.
An der Zimmerdecke bewegte sich etwas. Es waren Schatten, mal heller, mal dunkler. Sie mussten ja eine Ursache haben, aber es gab kein Licht in der Nähe, das die Schatten hätte produzieren können.
Trotzdem waren sie da.
Max starrte sie an.
Sein Leben war in relativ ruhigen Bahnen verlaufen. Vor vier Jahren hatte ihn der plötzliche Tod seiner Frau aus dem Rhythmus geworfen, doch er hatte sich wieder gefangen.
Und plötzlich verspürte er die gleiche Angst wie an den Tagen, als seine Frau im Sterben gelegen hatte.
Es war ein Druck, der sich über ihn legte. Wie eine alte Decke breitete er sich aus. Es begann an den Füßen, kroch höher bis zu den Hüften und erfasste den Oberkörper.
Bender atmete keuchend. Der Schweiß lag nicht nur auf seinem Gesicht, er bedeckte bereits längst seinen gesamten Körper und sammelte sich auf den Handflächen zu Tropfen.
Und der Schatten an der Decke nahm an Volumen zu. Er verdichtete sich und breitete sich gleichzeitig aus, so dass er den gesamten Platz einnahm. Max Bender fragte sich, wo er herkam, doch er wusste keine Antwort auf dieses Phänomen.
Eigentlich wollte er aufstehen und wegrennen. Nur so, dass wusste er, konnte er diesem Grauen entgehen, aber da existierte eine Kraft, die ihn auf der Stelle bannte.
So blieb er im Bett liegen.
Keuchend, ächzend. Speichel sprühte vor seinen Lippen, die Augen hatten einen fiebrigen Glanz bekommen. Der Schweiß roch salzig, und der Schatten bewegte sich weiter.
Er kam auf ihn zu…
Bender stöhnte auf. »Nein…«, ächzte er. »Nein, das ist nicht möglich. Geh weg…«
Er sprach mit dem Schatten, als wäre dieser ein lebendiges Wesen. Und er hatte tatsächlich eine voluminöse dreidimensionale Form angenommen, so dass aus dem Schatten eine Wolke geworden war.
Und die sank auf ihn zu.
»Ein Alp!« flüsterte Bender, »verdammt, das ist ein Alp.« Er atmete saugend, wollte sich zur Seite rollen, aber das Bett hielt ihn fest. Plötzlich hatte er das Gefühl, ein Gefangener des Betts zu sein, und die Wolke senkte sich mit jeder vergehenden Sekunde tiefer dem im Bett liegenden Mann entgegen…
***
»Mutti?«
Die Stimme der Bender-Tochter hallte durch das kleine Einfamilienhaus.
Utes Zimmer lag in der ersten Etage, in die Christel Bender hochlief. Ihre Tochter lag im Bett. Sie setzte sich aber auf, als Christel den mit einer bunten Tapete verzierten Raum betrat. Die Farbe rot herrschte vor, denn Ute liebte rote Sachen.
»Was ist denn?«
»Ich kann nicht schlafen, Mutti.«
»Das solltest du aber.«
Ute nickte. »Ja, ja«, flüsterte sie. »Aber ich habe dir doch die
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