0439 - Nacht der Hexen
Sid Amos, Dad?« fragte Julian.
»Einst war er Asmodis, der Fürst der Finsternis. Merlins dunkler Bruder, der jetzt sein Stellvertreter ist.«
»Wer ist Zamorra?«
»Merlins Schützling und Beauftragter, ausgestattet mit Merlins Stern, der magischen Wunderwaffe. Er ist mein Freund, wir haben uns oft gegenseitig geholfen. Aber auch er darf noch nichts von unserer Existenz erfahren…«
»Und wer ist Merlin?«
Tendyke lächelte. »Merlin… der geheimnisvolle Zauberer von Avalon, der Insel der Feen… jenseits der Zeit… Merlin ist ein Wächter. Ein Beobachter, ein Berater. Wie Zamorra… und vielleicht auch Sid Amos… handelt er im Auftrag des Wächters der Schicksalswaage.«
»Ihn würde ich gern kennenlernen«, sagte Julian. »Es wird doch sicher nicht mehr lange dauern, bis die Zeit des Versteckens vorüber ist, nicht wahr, Dad?«
»Nicht mehr lange… aber niemand weiß, wann Merlin sich wieder zeigt. Seit er auf dem Silbermond in der Vergangenheit war, ruht er in seiner Tiefschlafkammer und erholt sich von den Strapazen. Viel zu lange ist er schon darin… und noch ist kein Ende abzusehen.« .
»Es wäre schön, wenn er käme… vielleicht sogar, wenn er hierher käme. Merlin, warum schläfst du? Warum zeigst du dich nicht wieder? Warum muß Sid Amos weiterhin an Caermardhin gefesselt sein?«
In diesem Moment zeigte sich Rob Tendyke erstmals verblüfft, konnte er sich doch nicht daran erinnern, daß einer von ihnen Julian jemals erzählt hatte, Sid Amos sei durch Merlins Auftrag an die unsichtbare Burg gebunden und in seiner Bewegungsfreiheit und seinem Freiheitsdrang eingeengt.
»Woher, Julian? Woher weißt du davon?«
Julian machte große Augen. »Das, Dad, weiß ich selbst nicht. Das Wissen um diese Dinge befindet sich einfach in mir, und es erwacht hin und wieder. Aber Merlin… er sollte doch aus seiner Kammer herauskommen. Er sollte erwachen, damit ich ihn kennenlernen kann… aber möchtest du mir nicht mehr über deine Abenteuer mit Zamorra erzählen?«
Und Tendyke dachte an seinen alten Freund und wünschte, wenigstens ihm gegenüber offen sein zu können. Aber es ging nicht. Noch war die Zeit nicht reif. Denn ein winziger Fehler konnte einen dämonischen Orkan der Vernichtung heraufbeschwören, und es war zweifelhaft, ob ein zweites Mal eine Flucht möglich sein würde…
***
Die Dämonin Stygia fühlte, wie der Drang immer stärker wurde. Sie hatte Zamorra und seinen Begleitern einen deutlichen Hinweis gegeben, mehr konnte sie nicht mehr tun. Nie zuvor hätte sie sich träumen lassen, daß sie einmal mit ihrem großen Feind, dem größten Feind der Schwarzen Familie, Zusammenarbeiten würde, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen.
Aber nun war es geschehen.
Und sie hoffte, daß er sie nicht erkannt hatte.
Schon einmal waren sie aufeinandergestoßen. Drüben in den USA. Doch diesmal hatte seine Wunderwaffe, dieses silberne Amulett Merlins, nicht auf Stygias Nähe reagiert. Warum, war ihr nicht klar, aber sie nahm es zufrieden hin. Es war ein großes Risiko gewesen, das sie eingegangen war. Aber möglicherweise hatte sie ihre dämonische Aura gut genug abschirmen können. Zumindest vom äußeren Eindruck her war sie nicht wiedererkannt worden. Dafür hatte ihre Maskerade mit der Mönchskutte gesorgt.
Und jetzt hoffte sie, daß sie das Risiko eines Zusammentreffens mit dem Dämonentöter nicht umsonst eingegangen war, daß er und seine Gefährten schnell genug den Friedhof erreichten, die Zeremonie störten und Stygia die drei Hexen vom Leibe schafften. Sie bedauerte, daß sie es nicht selbst tun konnte, aber an diesem Problem war selbst der legendäre Mephistopheles lange Zeit gescheitert. Er hatte grimmig abwarten müssen, bis der Pakt mit Dr. Faustus abgelaufen war. Und ärgerlicherweise hatten andere Zauberer aus dem Schicksal des Faustus gelernt…
Stygia erschauerte. Abermals, wurde der Ruf stärker, drängender.
Wann endlich schlugen Zamorra und der Mann mit dem Dhyarra-Kristall zu?
***
In Rafaela flackerte Angst auf. Sie begann wieder zu denken. Die Macht der Hexe Una über sie wurde schwächer, je länger Una sich auf den Sprechgesang der Beschwörung konzentrierte.
Rafaela wurde klar, daß sie sich in einer ungeheuren Gefahr befand. Hier lag sie in der warmen Nacht auf einem Mauerstück, neben ihr standen diese schauerlichen Gestalten in ihren schwarzen Gewändern und mit den dunklen Hüten über den fahlen Gesichtern. Unmenschlich blaß waren sie, grauenerregende
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