0439 - Nacht der Hexen
Carlotta.
Zamorra faßte beruhigend nach ihrer Hand. »Wir schaffen es, Carlotta«, sagte er. »Wir haben bis jetzt noch alles geschafft!«
Aber ganz sicher war er da nicht, und plötzlich empfand er eine riesige Angst, trotz des Hinweises der Kuttenträgerin zu spät zu kommen.
Schon einmal war er zu spät gekommen, um jemanden zu retten - damals, in Miami, als Leonardo deMontagne die magische Bombe zündete, in deren Inferno Rob Tendyke, die Peters-Zwillinge und Julian starben.
Damals hatte er das Gefühl gehabt, versagt zu haben, und jetzt fieberte er vor einem erneuten Versagen, wenngleich die Situation völlig anders war. Er hatte es damals nicht geschafft, die Freunde zu retten - aber jetzt mußte er verhindern, daß Rafaela ermordet wurde.
Und trotz der bösen Aura vertraute er der Gestalt in der Kutte!
***
War es Zufall, daß Professor Zamorra in diesen Minuten an seinen Freund Robert Tendyke hatte denken müssen?
War es Zufall, daß Rob Tendyke in diesen Minuten von Zamorra sprach? Denn er war nicht tot. Er war mit den Zwillingen und Julian der Explosion der magischen Bombe im buchstäblich letzten Moment entkommen.
Ihm lag daran, daß man sie alle für tot hielt. Das war für ihn die beste Möglichkeit, Julian zu schützen. Denn er wußte nur zu gut, daß die Höllenmächte mit allen Mitteln verhindern wollten, daß das Telepathenkind existierte.
Sein Sohn.
Uschi Peters’ Sohn. Julian Peters.
Seit dem Attentat lebten sie an einem verborgenen geschützten Ort in der Einsamkeit. Nicht einmal die besten Freunde wußten davon. Tendyke war klar, wie schwer es den Zwillingen fallen mußte, so zurückgezogen zu leben. Aber er wußte auch, daß es nicht für lange Zeit sein würde. Julian wuchs heran, und es würde der Tag kommen, an dem er sich selbst zu schützen vermochte. Der Tag, den die Höllenmächte fürchteten…
Seiner Mutter und seiner Tante war Julian oft unheimlich. Er wuchs in einem unglaublichen Tempo, und er lernte unaufhörlich: Was er einmal sah, hörte oder las, vergaß er niemals, und - er verstand es auch! Er verschlang Bücher, er lauschte Erzählungen. Er hatte mittlerweile die Größe eines zehn- oder elfjährigen Jungen, und seine geistige Reife hielt mit der körperlichen Entwicklung durchaus Schritt. Uschi und Monica Peters fanden keine Erklärung für diese rasende Entwicklung, und Rob Tendyke schwieg. Nur einmal hatte er eine Bemerkung fallengelassen: »Er wäre nicht unser Kind, wenn er ein normaler Junge wäre. Und die Schwarze Familie hätte es dann auch nicht auf seinen Tod abgesehen. Er trägt in sich das Erbe.«
Aber dann hatte er sich nicht weiter dazu geäußert, und zum ersten Mal in ihrem Zusammensein hatten die Zwillinge versucht, den Abenteurer Tendyke telepathisch auszuforschen, um mehr herauszufinden, doch sie konnten seine Gedanken nicht lesen, weil er den Tastversuch mit geradezu spielerischer Leichtigkeit abwehrte. Und er küßte sie beide und verlangte: »Versucht es bitte nicht noch einmal, denn es führt doch zu nichts. Ich darf nicht darüber reden, und ich darf nicht daran denken. Versteht das bitte.«
Sie konnten es nicht verstehen. »Versteh du doch, Rob, daß ich seine Mutter bin!« drängte Uschi. »Warum öffnest du das Geheimnis nicht?«
»Ich kann es nicht. Ich habe schon zuviel gesagt, und eines Tages werdet ihr es ohnehin erfahren - von Julian selbst. Sofern du es nicht ohnehin spürst, Uschi, weil du doch seine Mutter bist!«
Es war nicht spöttisch gemeint, nicht ironisch.
Rob Tendyke selbst schien die unheimlich schnelle Entwicklung seines Sohns nicht als unnormal zu empfinden. Er äußerte sich nicht dazu, und er verriet auch nicht, auf welchem Wege er Lebensmittel, Kleidung und Lern- und Lesestoff für Julian heranschaffte, der bereits mehrere Sprachen akzentfrei beherrschte und durchaus in der Lage war, höhere mathematische Berechnungen durchzuführen, biologische, chemische und physikalische Zusammenhänge zu verstehen und philosphischen Gedanken nachzugehen.
Ein Genie, ein Wunderkind?
Einmal hatte Rob erzählt, daß damals, nach Julians Geburt und kurz vor der Explosion der Bombe, Sid Amos im Krankenhaus aufgetaucht war, um ein Geschenk zu überbringen: Gaias schwarze Blumen. Jene Blumen, die jetzt in einer lichtlosen Höhle unweit der einsamen Blockhütte wuchsen. »Wahrscheinlich wäre Sid Amos neben Merlin und Zamorra der einzige, der uns auch hier finden würde, wüßte er, daß wir noch leben«, sagte Tendyke.
»Wer ist
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