0439 - Nacht der Hexen
Fratzen… und da war dieser schimmernde Dolch, der über Rafaela in der Luft schwebte!
Allmählich wurde ihr klar, daß sie hier sterben sollte. Ermordet von diesen bleichen Weibern, die sie in die Falle gelockt hatten. Warum hatte Carlotta das getan? Carlotta…
Wo war sie?
Rafaela konnte nur die Augen bewegen, und vergeblich versuchte sie in den totenbleichen Gesichtern des Hexen-Trios Carlottas Züge zu erkennen. Da wurde ihr klar, daß man sie auch in diesem Punkt getäuscht hatte. Die Erinnerung kam zurück; noch im Taxi hatte sich die Frau neben Rafaela verwandelt, das Bild Carlottas war verblaßt und hatte dieser Fratze Platz gemacht.
Warum das alles? durchfuhr es sie. Warum wollen sie mich umbringen? Warum ausgerechnet mich?
Sie hörte den Sprechgesang, der ihre Nerven strapazierte und ihre Angst schürte. Die dumpfen Laute versetzten sie in Panik und Starre, und das Grauen kauerte über ihr wie ein bösartiges wildes Tier. Da begann sie zu stöhnen.
Die Hexen achteten nicht darauf. Sie setzten das furchtbare Ritual fort, und plötzlich ertappte das Mädchen sich bei der irrwitzigen Hoffnung, dieser Gesang würde niemals enden, weil an seinem Ende der Tod stand!
Und da endlich konnte sie schreien!
***
Das Ortsschild von Marino tauchte auf. Nicole trat auf die Bremse. Der Wagen schoß, rapide langsamer werdend, zwischen den ersten Häusern hindurch und kam dann zum Stillstand. »Und wo finden wir jetzt den Friedhof?«
»Fahr weiter«, sagte Ted Ewigk. »Aber vorsichtig.«
»Seltsam«, murmelte Zamorra von der Rückbank. »Liegt das an meiner Erschöpfung, daß ich nicht mehr richtig sehen kann, oder ist da tatsächlich Nebel?«
»Könnte Nebel sein, der im Entstehen begriffen ist«, bestätigte Nicole, die die grauen Schwaden auch sah.
»Bei diesem Klima? Um diese Zeit? Das ist alles mögliche, aber kein Nebel«, protestierte Ted Ewigk, der sich plötzlich an Carpenters Film »Fog - Nebel des Grauens« erinnerte. »Aber magisch gesteuert könnte er sein…«
Zamorras Amulett hätte das feststellen können. Aber das funktionierte längst noch nicht wieder.
»Fahr auf den Nebel zu. Der führt uns ans Ziel«, vermutete Ted. »Falls das Zeug aggressiv wird, erlebt es sein blaues Wunder…«
Nicole ließ den Mercedes wieder anrollen. Der Wagen glitt in den Nebel hinein, der allmählich dichter wurde, je weiter sie vorstießen. Sie erreichten schon bald den anderen Rand des kleinen Ortes. Hier ging es bergan.
»Und wo soll jetzt der Friedhof sein?«
»Warte mal«, sagte Ted. Er öffnete die Tür und stieg aus. Dann kletterte er über die Motorhaube aufs Autodach. Ein paar Kratzer im Lack mehr spielten auch keine Rolle mehr, nachdem der fliegende Baum über den Wagen hinweggewischt war. Ted reckte sich empor und tauchte mit Oberkörper und Kopf aus den Nebelschichten empor. Vom Autodach aus hatte er eine bessere Sicht als von unten.
Er sah die Silhouette einer kleinen Kapelle zwischen hohen Laubbäumen. Dort befand sich wahrscheinlich der Friedhof, von dem die fremde Frau in der Mönchskutte gesprochen hatte.
Ted versuchte die Entfernung abzuschätzen. Dann kletterte er wieder nach unten.
»Es ist direkt vor uns. Vielleicht fünfhundert Meter«, sagte er. »Da dürfte die Friedhofsmauer beginnen. Vielleicht sollten wir den Wagen hier stehen lassen, möglichst in Fluchtrichtung, und zu Fuß gehen…«
»Und in die Falle tappen«, warnte Zamorra von der Rückbank. »Seid doch nicht so leichtsinnig! Versucht euch erst ein Bild von diesem Friedhof zu machen, sucht nach Rückzugsmöglichkeiten! Himmel, wir haben erlebt, was eine von diesen Hexen anzurichten wußte, und hier haben wir es mit dreien zu tun…«
»Falls sie in der Kapelle stecken, stecken sie in der Falle«, sagte Ted nüchtern.
»Und sie haben Rafaela als Geisel«, gab Carlotta zu bedenken.
Nicole stieg aus. »Je länger wir reden, desto mehr Zeit verlieren wir. Wir passen schon auf uns auf. Sieh zu, daß der Wagen in Fluchtrichtung steht, cheri.«
Zamorra seufzte. »Ich kann dich weder festhalten noch zu größerer Vorsicht ermahnen, nicht?«
»So sieht’s aus… bis in ein paar Minuten, Chef.« Nicole nickte Ted Ewigk zu und lief los. Der Reporter folgte ihr im gleichen Tempo.
Zamorra klappte die Sitzlehne nach vorn und zwängte sich aus dem Wagen. Auch Carlotta stieg aus. Sie sah, daß Zamorra auch jetzt Schwierigkeiten hatte, sich auf den Beinen zu halten. »Vielleicht ist es besser, wenn ich mich ans Lenkrad setze«,
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