0439 - Nacht der Hexen
Verstand benutzen«, erinnerte Nicole. »Wir sind beobachtet und angegriffen worden. Man hat uns mit einer unglaublichen Gewalt zu stoppen und zu töten versucht. Das bedeutet, daß wir nah am Ziel sind. Wir sind dieser Hexe zu nahe gekommen, und sie hat zugeschlagen. Wir brauchen also nicht die gesamten Albaner Berge abzusuchen, sondern können uns auf die unmittelbare Umgebung konzentrieren.«
»Aber in welchem Radius?« Ted Ewigk schüttelte den Kopf. »Selbst wenn wir nur einen Kilometer vom Hexenversteck entfernt sind, ist es fast aussichtslos, ihn zu entdecken. Hier kann es Hunderte und Aberhunderte von Höhlen geben. Die können wir umöglich alle abklappern. Wir würden Tage dafür benötigen. Zwischenzeitlich können wir immer wieder angegriffen werden. Und momentan bin ich der einzige, der etwas dagegen tun kann - aber in die Zukunft schauen kann ich auch nicht. Ich kann nur auf einen Angriff reagieren, ihm nicht zuvorzukommen. Und wenn diese Hexe schon diesmal so unglaublich stark war, dann wird sie uns beim nächsten Mal mit einer noch perfideren Überraschung bedenken. Ich glaube kaum, daß sie ihr ganzes Pulver schon verschossen hat.«
»Ich brauchte meinen sogenannten ›Zaubertrank‹«, sagte Zamorra. »Danach wäre ich wieder für ein paar Stunden fit…«
»Um anschließend einen nur noch stärkeren Zusammenbruch zu erleben, weil die Natur und dein Körper sich eben nur eine gewisse Zeit lang betrügen lassen«, warnte Nicole. »Sei froh, daß wir die Zutaten für diesen Krafttrank nicht hier greifbar haben…«
»Außerdem wäre davon das Amulett auch noch nicht wieder einsatzfähig, und du kannst mit meinem Dhyarra-Kristall nicht umgehen«, ergänzte Ted Ewigk. »Ich habe das dumpfe Gefühl, daß wir hilflos gemacht worden sind. Abgesehen von den unzähligen Möglichkeiten, sich hier in der Gegend zu verstecken, kann die Hexe sich auch in irgend einem Haus eines der umliegenden Dörfer versteckt halten… und wer will an jeder Tür anklingeln, mitten in der Nacht?«
»Was also können wir tun?« fragte Carlotta hilfos.
In diesem Moment sah sie die schwarze Gestalt.
***
Nebel war aufgekommen und kroch in sich allmählich verdichtenden Schwaden über den Friedhof von Marino. Im krassen Gegensatz dazu standen die spätabendlichen Temperaturen und der sternenklare Nachthimmel. Aber Una, Duane und Terzia hatten es schon immer für besser gehalten, ihr nächtliches Treiben unter offenem Himmel vor den Augen zufällig vorbeikommender Neugieriger verborgen zu halten. Deshalb hatte Duane den Nebel herbeigerufen.
Una hatte das Opfermesser aufgenommen. Die Klinge funkelte im Mondlicht. Rafaela starrte den Dolch an, ohne zu begreifen, welche Bedeutung er für sie hatte. Sie stand in ihrem Gewand des Todes vor dem Mauerrest, der mit schwarzem Samttuch von ihr selbst zum Opfer-Altar hergerichtet worden war.
Terzia machte eine schnelle Handbewegung.
Rafaela zögerte. Es schien, als wolle in ihrem Unterbewußtsein etwas erwachen und sich gegen den unausgesprochenen Befehl wehren. Tief in ihr kämpfte ein kleiner Rest eigenen Willens gegen die übermächtige Magie der Hexe Una.
Der dauerte es zu lange, bis Rafaela gehorchte. Abermals setzte sie ihre Hexenkraft ein. Wieder einmal verlor Rafaela den Boden unter den Füßen, wie vorhin, als sie aus dem Taxi geholt worden war. Steif wie ein Brett war ihr Körper plötzlich, der in die Waagerechte kippte und vor dem Mordaltar schwebte, um bedächtig über das schwarze Tuch zu gleiten und auf es hinab zu sinken.
Reglos ausgestreckt lag Rafaela da, die glänzenden Augen auf den Sternenhimmel gerichtet.
Die drei Hexen nahmen ihre Positionen ein. Terzia auf der einen Seite der Mauer, Duane auf der anderen. Dort, wo der Mauerrest endete und Rafaelas Kopf sich befand, nahm Una Aufstellung.
Sie stimmte den Ritualgesang an, in welchen die beiden anderen einfielen. Die magischen Formeln, die mehrfach wiederholt werden mußten, um Wirkung zu erzielen. Am Ende des Sprechgesanges, wenn der letzte Laut verklungen war, würde die Dämonin Stygia erscheinen und die Opferung Rafaelas erfolgen.
Die drei Hexen verloren keine Zeit mehr. Sie wollten die Kraft ihrer Herrin in sich erneuern. Trotz der Gefahr der Entdeckung durch Überlebende von Terzias Kampf.
Der Dolch schwebte in der Luft über dem Opfer.
***
Der erste Klang des Ritualgesanges erreichte Stygia. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Ganz gleich, ob sie in unmittelbarer Nähe war oder aber Tausende von
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