044 - Der Teufelseid
haben würde, ergab es sich vielleicht, dass sie sich auf einem der Flüge zwischen Saloniki und London treffen würden.
Sie küsste ihn scheu zum Abschied. Als das Motorboot abfuhr, stand Dorian noch lange an der Reling und blickte zum Hafen, wo das winkende Mädchen im Jeans-Anzug immer kleiner wurde.
Noch im Jahre 1946 lebten in den zwanzig Klöstern Athos' fünftausend Mönche. Heute sind es nur noch etwa 1700. Es fehlt an geeignetem Nachwuchs, so dass man nun in der Mehrzahl Mönche vorfindet, denen es an Bildung fehlt, und die wenigen, die höheres Wissen und auch Interesse an ihrer Berufung besitzen, sind meist biblischen Alters.
Neben den zwanzig großen Klöstern, die wie wehrhafte Burgen und trutzige Festungen über das Athos-Gebirge verteilt sind, gibt es noch einige Skiten, Mönchssiedlungen mit lose um eine Kirche verstreuten Gehöften, und die Kellien, wobei es sich um selbständige Einzelgehöfte handelt, die von kaum mehr als einem halben Dutzend Mönche bewohnt werden.
Diese ›Kellioten‹ leben von den Früchten ihrer Felder und Gärten und halten sich viel ernsthafter als die mehr und mehr der Trägheit verfallenen Klostermönche an die Regel vom »Beten und Arbeiten«. Während der Überfahrt erfuhr Dorian auch, dass die Kellioten Fremde viel freundlicher aufnahmen als die Mönche der von Touristen oft geradezu überrannten Klöster.
Neben den isoliert lebenden Kellioten gibt es noch eine unbekannte Anzahl von Einsiedlern, Asketen und Anachoreten, die in Häusern, Hütten und Höhlen leben. Manche von ihnen sollen so scheu sein, dass sie sich keinem anderen menschlichen Wesen zeigen und die von den Kellioten für sie bereitgestellten Almosen nur nachts abholen, wenn die Klöster verdunkelt und verschlossen sind, so dass niemand sie sieht.
Am Nachmittag legte das Motorboot am Kai von Dafni an. Mit Dorian waren noch vier amerikanische Studenten, die kein Wort Griechisch verstanden, zwei Mönche und sechs Männer einer französischen Reisegruppe an Bord.
Sie suchten gemeinsam die Polizeistation auf, wo sie ihre Pässe hinterlegen mussten, die ihnen erst wieder bei der Abreise zurückgegeben würden.
Einer der Mönche, die mit ihnen auf dem Motorboot gewesen waren, bot ihnen an, sie nach Karyäs zu begleiten, wo sie die Aufenthaltsbewilligung erhielten, die für die Dauer von 21 Tagen galt. Dieses Dokument berechtigte zum kostenlosen Aufenthalt in allen Klöstern.
Die sechs Franzosen hatten sich mit Rucksäcken voll Proviant eingedeckt, wozu man ihnen geraten hatte, weil durch die vielen Fastenzeiten der Mönche die Bewirtung oftmals sehr bescheiden ausfiel.
Der Fußmarsch nach Karyäs dauerte drei Stunden.
Dorian konnte genügend Griechisch, um sich mit dem Mönch, der sie begleitete, unterhalten zu können. Er hieß Pater Gregorius, stammte nicht aus Athos, sondern pilgerte alle Jahre hierher, um die Heiligenreliquien der Klöster zu verehren. Er kannte sich hier aber besser aus, als viele der eingesessenen Mönche.
Es stellte sich bald heraus, dass er ein überzeugter Wundergläubiger war. Er wusste von unzähligen Wundern zu berichten, die er angeblich selbst erlebt hatte – hier auf Athos und sonst irgendwo.
Er erzählte seinen staunenden Begleitern die Geschichte der drei Stifter, die das Kloster Zographou gründeten, sich aber nicht einigen konnten, welchem Heiligen es geweiht werden sollte. Also stellten sie eine unbemalte Tafel in die Kirche, und am nächsten Morgen trug sie das Bild des hl. Georg.
Pater Gregorius glaubte auch diese Geschichte. Von ihm erfuhr Dorian aber auch etwas, das interessant für ihn war.
Pater Gregorius wollte zum Kloster Simonos Petra, das auch Dorian zum Ziel erkoren hatte.
»Aber«, fügte der Pater hinzu, »heute werden wir es nicht mehr bis dahin schaffen. Denn es ist ein Fußmarsch von vier Stunden. Vor Einbruch der Dunkelheit kommen wir nicht mehr hin. Bei Sonnenuntergang werden die Klöster geschlossen und erst wieder am nächsten Morgen geöffnet.«
»Wo werden Sie dann übernachten, Pater Gregorius?«
»Wahrscheinlich in Agios Panteleimon, wenn ich mich nicht mit meinem Freund Christophoros zerstritten hätte.«
»Sie kennen den Einsiedler?«, erfuhr es Dorian überrascht.
»Ich besuchte ihn früher jedes Jahr. Aber, wie ich schon sagte, eines Tages waren wir nicht einer Meinung. Jedenfalls haben wir uns seit damals nicht mehr gesehen.«
»Aber Sie könnten mir den Weg zu seiner Höhle zeigen?«
»Nun … Christophoros ist ein, mit
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