0443 - Einer hat den Mord gefilmt
Schrank an der rechten Wand und öffnete ihn. John Sander verwahrte in diesem Schrank, nach Nummern geordnet, die Negative seiner Aufnahmen, ungefähr einhundertfünfzig Filme. Writer griff in die fünfte Reihe, nahm eine Hülse heraus und stellte seinen Film an den Platz.
Er hörte Schritte in der Diele. Hastig schloß er den Schrank. Die Vergrößerungen schwammen noch in der Fixierlösung. Er nahm sie heraus und wollte sie in den Trockenschrank hängen, verzichtete aber darauf, als er Evelyns Tochter die Treppe hinunterrennen hörte. Das Mädchen rief: »Daddy! Fein, daß du schon kommst, Daddy!«
Writer steckte die noch nassen Bilder in die Tasche. In der Diele lachte John Sander, und seine Frau setzte zu einem Geständnis an. »John, es ist etwas ganz Ungewöhnliches geschehen. Ich wußte nicht, wie ich…«
Writer öffnete die Tür des Fotolabors. John Sander blickte überrascht auf. Sein Gesicht verfinsterte sich. Er schob seine Frau und seine Tochter etwas zur Seite.
»Was willst du hier, Harry?« fragte er böse. Ohne den Kopf zu wenden, fügte er an die Adresse seiner Frau die Frage hinzu:
»Warum hast du ihn hereingelassen?« Writer schlenderte näher. »Mache ihr keine Vorwürfe, John«, sagte er leichthin. »Ich appellierte an ihr Mitleid, und damit traf ich ihre schwächste Stelle. Mein eigener Kram ist zum Teufel. Wenn ich nicht verhungern soll, brauchte ich die Möglichkeit, ein paar Bilder zu entwickeln.«
John Sander war ein großer, schlanker Mann, aber Writer war ihm sicherlich körperlich überlegen. Sander zeigte mit dem Daumen über die Schulter. »Besser, du gehst, Harry! Du weißt, daß unsere Freundschaft längst geplatzt ist.«
»Ich bin schon auf dem Wege!« Writer setzte sich in Bewegung. »Vielen Dank, Evelyn«, sagte er zu der Frau. »Bleib brav, Jill!« ermahnte er das Mädchen. Vor Sander blieb er stehen. »Warum leihst du mir nicht zehn Dollar, John? Ich komme demnächst mit einem ganz großen Los heraus! Stell dich gut mit mir.«
Sander zog seine Brieftasche, entnahm ihr eine Zwanzig-Dollar-Note und hielt sie dem anderen hin. Writer griff zu.
»Damit hast du soeben für Evelyn einen Pelzmantel gekauft, den ich ihr aus Dankbarkeit schenken werde«, erklärte er großspurig.
***
Erst um neun Uhr am Abend fanden wir Harry Writers Adresse heraus. Wir fragten in den Nightclubs von Rockaway-Beach nach ihm. Viele Leute vom Personal der Clubs kannten ihn, aber niemand wußte seine Adresse. Erst im sechsten oder siebten Laden erinnerte sich eine Serviererin, daß sie sich von ihm einmal hatte fotografieren lassen. Sie begann ihre Handtasche nach der Quittung für die Anzahlung zu durchwühlen und fand sie endlich als zusammengeknüllte Papierkugel im tiefsten Winkel. Es war ein bedrucktes Formular mit vollständiger Adressenangabe.
Kurz vor zehn Uhr standen wir in der 106. Straße vor dem Haus mit der Nummer 815. Es handelte sich um eine schäbige Mietskaserne. Wir erfuhren, daß Writers Wohnung in der dritten Etage lag.
Es gab keine Klingel an der Wohnungstür. Phil klopfte mit den Fingerknöcheln. Die Tür knarrte in den Angeln und öffnete sich einen Spalt. Phil stieß sie völlig auf.
»Entweder vergaß er abzuschließen«, sagte Phil, »oder er hatte uneingeladenen Besuch.«
Writers Bude bestand aus drei schmutzigen Zimmern. Ein abgetrennter Verschlag in der Küche diente als Dunkelkammer. Nichts deutete darauf hin, daß die Wohnung durchsucht worden war. Die Unordnung in der Bude schien vom Besitzer zu stammen. Nur das Türschloß verriet, daß die Wohnung gewaltsam betreten worden war.
»Harry Writer scheint die richtige Fährte zu sein«, stellte ich fest. »Die Tatsache, daß irgendwer seine Wohnung aufbrach, beweist, daß er den Gangstern entkam.«
»In der Subway entkam er, aber erwischten sie ihn hier?«
»Dann würden wir ihn hier finden. Warum sollten Blacks Leute sich damit Mühe gegeben haben, seine Leiche wegzuräumen?«
»Das mag stimmen, aber wo finden wir ihn lebendig?«
»Ich wünschte, wir wüßten, warum er sich nicht selbst bei uns meldet. Furcht allein kann es nicht sein.«
»Nach allem, was wir über Writer hörten, scheint er ein fragwürdiger Typ zu sein. Wahrscheinlich hat er einiges auf dem Kerbholz und traut sich aus diesem Grunde nicht auf ein Polizeirevier.«
»Wir sollten eine Rundfrage in der Umgebung seiner Wohnung starten. Ich hoffe, wir stoßen auf einige Leute, die mehr über ihn wissen.«
Als Phil und ich die Straße betraten,
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