0444 - Die Nonne mit der Teufelsklaue
Kreuz, mit dem er die Nonne bannen würde, obwohl dies fraglich war, denn sie schien sich auch von dem großen Kreuz am Altar nicht beeinflussen zu lassen.
Einmal den Weg eingeschritten, ging er auch weiter. Das Knarren der Holzleiter ließ sich allerdings nicht vermeiden.
Rudy hatte den Kopf etwas zurückgelegt, um in die Höhe blicken zu können. Die Leiter endete an einer Plattform, die als Arbeitsstätte unter dem Turmgebälk diente.
Auf der vierten Stufe blieb er stehen und zündete wieder das Feuerzeug an. Er wollte einfach sehen, wohin er stieg und sich nicht nur im Dunkeln bewegen.
Zunächst leuchtete er nur die unmittelbare Umgebung seiner Hand aus, dann schob er den Arm in die Höhe, die Flamme glitt zuckend an den Leitersprossen entlang und erreichte deren Ende.
Genau dort lauerte die Nonne!
Der junge Mönch erschrak so heftig, daß die kleine Flamme wieder erlosch. Noch in derselben Sekunde brach ihm der Schweiß aus. Obwohl er mit diesem Anblick gerechnet hatte, zeigte er sich dennoch schockiert und fragte sich auch schon, weshalb die Nonne dort lauerte.
Auf ihn?
Es gab keinen anderen Grund. Rudy zitterte. Diese Bewegung übertrug sich auch auf seine Hand, so daß er sich nicht traute, das Feuerzeug wieder anzuknipsen.
In der kurzen Zeitspanne hatte er die Nonne sehr deutlich gesehen, vielmehr ihr Gesicht, das wie ein geisterhafter, bleicher Fleck gewirkt hatte.
Aber er hatte es nicht anders gewollt. Zudem trug er sein Kreuz bei sich, und unter diesem Zeichen würde er überleben und die gräßliche Gestalt bannen.
Also machte er noch einmal Licht. Diesmal hielt er den Arm bereits ausgestreckt. Er wollte die Nonne sofort sehen.
Und er sah sie.
Zwar hatte sich ihre Haltung nicht verändert, aber es war doch etwas anders geworden.
Sie hatte jetzt beide Hände vorgestreckt. Eine normale bleiche Totenhand und die andere als teuflische, rot leuchtende Klaue mit langen, behaarten Fingern.
Zwischen den Händen aber drehte sich etwas.
Das Blatt einer Kreissäge!
***
Der junge Mönch erkannte die tödliche Gefahr sofort, aber er konnte sich vor Schreck nicht rühren.
Und das Blatt drehte sich weiter. Schneller sogar. Über seinem schmalen Rand leuchtete das bleiche Gesicht der Nonne, die ihre Augen halb geschlossen hielt, so daß keine Pupillen zu erkennen waren.
Rudy öffnete den Mund. Er wollte diesem schrecklichen Geist einen Bannfluch entgegenschleudern, aber auch seine Stimme versagte plötzlich.
Die Kehle saß zu.
Und die Nonne kannte kein Pardon. Ihre Hände glitten auseinander und ließen das Sägeblatt los. Sich rasend schnell um die eigene Achse drehend fuhr es senkrecht in die Tiefe.
Es ging so schnell, daß der junge Mönch alles viel zu spät begriff.
Da hatte ihn das Blatt schon erwischt.
Die Nonne aber schaute zu, wie er von der Leiter gefegt wurde und auf dem Boden aufschlug. Das Sägeblatt driftete dabei zur Seite und blieb zwischen den Sägespänen liegen, von denen es einen Teil blaßrot färbte.
Die Nonne am Ende der Leiter erhob sich. Abermals war kein Laut zu hören.
Dafür wenig später, denn der dünne Klang der Totenglocke bimmelte durch die stille Nacht…
***
Es passiert nicht oft, daß Father Ignatius das Kloster St. Patrick hoch oben in den Grampian Mountains verläßt, um anderen Tätigkeiten nachzugehen, aber wenn er das tat, dann nie ohne Grund.
In diesem Fall war ich sein Grund gewesen, aber wir hatten uns nicht bei mir in London getroffen, sondern in Schottland, wo es ein Dorf gibt, das auf den schönen Namen Watermeetings hört. Es liegt ein wenig abseits der normalen Durchgangsstraßen und südlich der Truck Road Nr. 74 in einer Gegend, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
Das alte Haus zählte zwar auch noch zu Watermeetings, aber einen zwanzigminütigen Fußmarsch mußte man schon in Kauf nehmen, um den Ort zu erreichen.
Das Haus selbst nannte sich Hotel. Und hier gab es, wie so oft in Schottland Bed & Breakfast. Man konnte also schlafen und frühstücken. Das wurde vor allen Dingen immer wieder von den zahlreichen Schottland-Touristen wahrgenommen, die in den preiswerten Unterkünften auf ihren Fahrten und Wanderungen übernachteten.
Das Haus war über 300 Jahre alt. Von der Fassade hatte ich nicht viel gesehen, weil sie von Efeu, wildem Wein und anderen Kletterpflanzen überwuchert war.
Der kleine Parkplatz lag vor dem Haus. Dahinter breitete sich ein Obstgarten aus, und dieses kleine Hotel war berühmt für seine Marmelade, die die
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