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0446 - Höllenfrost

0446 - Höllenfrost

Titel: 0446 - Höllenfrost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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an.
    Er lebte ja doch nicht mehr lange.
    Seine kleine Goldmine, von der nur er etwas wußte, begann zu versiegen. Selbst wenn er die Jahre nicht gezählt hätte, anfangs locker und sicher, später mit zunehmender Bedrückung und schließlich mit Furcht, wäre dies ein deutliches Zeichen gewesen. Phil Briggs war am Ende seines Wegs angelangt.
    Es war ein gutes Leben gewesen, bei aller Einfachheit. Er hatte sich niemals einem anderen Menschen beugen müssen. Er war nie reich geworden, aber dafür zufrieden. Er hätte reich und mächtig sein können, wenn er es gewollt hätte. Aber dafür hätte er die Einsamkeit aufgeben müssen, in der er sich wohl fühlte. Niemals hatte er einen anderen Menschen gebraucht. Seine Eltern waren gestorben, als er noch ein Kind war. Es war irgendwo in der kalten Wildnis gewesen. Er hatte sich aus eigener Kraft durchgebissen, obgleich er eigentlich keine Chance hätte haben dürfen. Ein Hubschrauber war damals vorübergeflogen. Das war ein Bild, an das er sich noch nach dieser schier unendlich langen Zeit deutlich erinnern konnte. Der kleine Junge hatte ein Signalfeuer in Brand gesetzt. Er hatte heftig gewunken. Der Hubschrauber war tiefer gegangen -und dann wieder aufgestiegen, davongeflogen. Hatte ihn mit seinen toten Eltern in der Wildnis zurückgelassen. Phil Briggs hatte nie erfahren, was das für Menschen gewesen waren, die es nicht für nötig gehalten hatten, ihm zu helfen, einem Kind. Aber seit damals wollte er von den Menschen nichts mehr wissen. Er blieb in der Wildnis. Selbst die Winterkälte mit Frostgraden von unter vierzig Grad machte ihm wenig aus. Er kannte Höhlen, in denen es hübsch warm werden konnte, wenn man es richtig anpackte. Er hatte Iglus der Eskimos im Norden gesehen, und manchmal baute er sich auch so ein Schneehaus. Er trieb Handel mit den Weißen, mit den Innuit und mit den Athapasken und anderen Indianerstämmen. Manchmal suchte er auch die Dörfer auf, aber nie die Städte. Je weniger Menschen um ihn herum waren, um so besser war es.
    Doch jetzt wäre der Einzelgänger froh gewesen, wenn er jemanden hätte, mit dem er reden konnte.
    Einige Male war er schon hier in den Dörfern um die Kuskokwim Bay gewesen. Man kannte ihn, und deshalb setzte sich niemand zu ihm. Ein weiterer Grund war der Gestank, der von ihm ausging. Er selbst wußte nichts davon, war daran gewöhnt. Aber seine speckige Lederkleidung und auch sein Körper, die samt und sonders vielleicht vier, fünf Mal im Jahr in den Genuß eines reinigenden Bades kamen, verströmten eine Anrüchigkeit, die mit empfindlicheren Nasen gesegnete Menschen auf Distanz hielt. Selbst die Rothäute, mit denen er handelte, gingen ihm gern aus dem Weg. Nur die Innuit, die Eskimos im Norden und den Ölgebieten, stießen sich nicht besonders daran.
    Niemand, mit dem er reden konnte…
    Wieder trank er.
    Die Flasche war schon halb leer. Aber die Schreckensbilder der Hölle wichen nicht. Die Alpträume, die ihn jetzt schon am Tage, im Wachzustand, heimsuchten. Er vertrug unheimlich viel Alkohol. Der hielt ihn innerlich warm. Und er war zu diszipliniert, um betrunken in den Schnee hinaus zu gehen. Er entfesselte dann lieber eine Schlägerei und ließ sich zur Ausnüchterung einsperren, um die Nacht im Warmen zuzubringen. Er wußte nur zu gut, wie tödlich es sein konnte, wenn er trunken im Schnee stürzte und sich unterkühlte. Aber er wollte nicht sterben.
    Damals, das war etwas anderes gewesen.
    Da war er jung. Da war der Tod unendlich weit entfernt. Und vierzig Jahre waren eine lange Zeit. Ein Pakt mit dem Teufel? Warum nicht? Er würde schon eine Möglichkeit finden, dem Teufel ein Schnippchen zu schlagen. Er dachte an die Geschichte vom dummen Teufel und dem schlauen Bauern, der den Gehörnten zweimal hereingelegt hatte. Aber dann hatte er selbst nie eine Chance bekommen. Er hatte zu spät gelernt, daß jene Geschichte nur ein Märchen war, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hatte. Den »Dr. Faust« hatte er nie gelesen…
    Jetzt waren die vierzig Jahre um. Den genauen Tag und die Stunde kannte er nicht. Aber er wußte, daß seine Zeit unaufhörlich verrann. Mit jedem Atemzug kam er dem Tod näher. Er wußte nicht, wie er sterben würde. Er wußte nur, daß seine Seele der Hölle versprochen war.
    Wieder nahm er einen tiefen Schluck aus der Flasche; ein Glas hatte er nie gebraucht. Der Whisky rann wie Feuer bis in seinen Magen hinunter. Phil Briggs sprang auf. Der Tisch kippte um. Briggs schwenkte die Flasche.

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