0449 - Chirons Höllenbraut
in einer bizarren Fantasielandschaft unter einem Himmel, der so blau war, wie Julian ihn noch nie in seinem Leben gesehen hatte, nicht einmal über der sommerlichen Dschungellichtung in den Wäldern Louisianas, im Versteck!
Dieses Blau war unnormal.
Und warum gab es hier keine Lebewesen? Wenn Julian Traumwelten erschuf, wimmelten sie von kleinem Leben. Insekten, kleine Tiere… sie alle gab es, denn sie fanden in seiner Vorstellung Platz. Er war mitten in einer blühenden, wuchernden Natur aufgewachsen, und für ihn gehörte diese Fülle des Lebens zum Normalen. Deshalb stattete er auch die Welten seiner Träume mit diesem pulsierenden Leben aus.
Aber hier gab es nichts außer Pflanzen. Nicht eine einzige Biene, kein Schmetterling, kein Stechinsekt schwirrte und summte zwischen den Gräsern und den Blüten, von denen Julian sich nicht vorstellen konnte, wozu es sie gab, wenn doch keine Insekten existierten, die von den Blüten angelockt werden konnten. Sein Verstand sagte ihm, daß diese Blütenpracht dann unlogisch war, und in der Natur gibt es keine Unlogik.
Im Traum wohl…
Aber Julians Träume waren immer von der Logik bestimmt gewesen! In seinen Schöpfungen hatte er nichts ausgelassen von dem, was er kannte und als notwendig anzusehen gelernt hatte.
Kaum war er mit diesen Gedanken zu Ende, als er abermals ein seltsames Flirren zu sehen glaubte. Die Umgebung um ihn herum schien eine andere Form annehmen zu wollen wie vorhin, als er sie zwingen wollte und es nicht schaffte. Aber diesmal war es doch etwas anders. Zwar kehrte die Landschaft mit den seltsamen Pflanzen zurück, aber es war Julian, als wäre ein leichter Druck auf seinem Bewußtsein um eine winzige Spur schwächer geworden. Dabei hatte er diesen Druck vorher nicht gespürt, und im nächsten Moment spürte er ihn auch schon wieder nicht mehr, obgleich er in sich hineinlauschte.
Aber es gab plötzlich Insekten, und als ein bunter Schmetterling unmittelbar vor seiner Nase herumflatterte und dabei so auffällig gemustert war, daß er mit Sicherheit jeden natürlichen Feind anlockte, gab ihm Julian ein anderes Aussehen und paßte ihn seiner Umgebung besser an.
Es fiel ihm nicht schwer!
Aber unmöglich war es ihm, die gesamte Umgebung zu verändern und sie sich seinem Willen zu unterwerfen! Sie war stabiler denn je. Und ihm kam der vage Verdacht, daß der Unbekannte, der Julian zu manipulieren versuchte, diese Welt besser gefestigt hatte, als Julian selbst es mit seinen Träumen konnte.
Da lehnte er diesen Traum ab.
Aufwachen.
Sich zurückziehen ins Wachsein in der Realität, und mit diesem Rückzug die gesamte Traumwelt, die er schon bei seinem letzten kurzen Schlaf geschaffen und mit seiner Dienerschaft, seinen Wachen und Kriegern und ein paar Zentauren bevölkert hatte, völlig in sich zusammenbrechen lassen!
Alles zerstören, um einen neuen Anfang zu machen!
Aber plötzlich konnte er ins Château Montagne nicht mehr zurück---!
***
Das WERDENDE hatte wieder einmal hinzugelernt. Es hatte Julians Traumwelt zwar umgeformt, um den Träumer in einer neuen Umgebung zu testen , doch es hatte dabei Dinge übersehen, die dem Träumer natürlich auffielen. Aber das WERDENDE reagierte sofort und ließ dem Träumer die Möglichkeit, die entsprechende Korrektur vorzunehmen.
Und das WERDENDE war selbst bestürzt über den Einfluß, den ES bereits über den Träumer hatte…
***
Zwei der fünf Zentauren halten Nicole gepackt und hielten sie an den Armen fest. Sie hing zwischen ihnen in der Luft, berührte den Boden nicht. Unversehens verfielen die Zentauren in Galopp. Nicoles Proteste wurden ignoriert, vielleicht nicht einmal verstanden. Sie glaubte, ihr würden die Arme ausgerissen. Von der schwarzhaarigen Entführerin, die Nicole in diese Welt geholt hatte, war nichts mehr zu sehen. Endweder liefen die Pferdemenschen so schnell, daß die Schwarzhaarige bereits nach so kurzer Zeit nicht mehr in Sichtweite war, oder sie hatte sich wieder einmal an einen anderen Ort versetzt.
Vielleicht spukte sie ja wieder im Château, um sich das nächste Opfer zu holen.
Darum machte sich Nicole jetzt keine Sorgen. Sie konnte ja ohnehin nichts dagegen tun. Sie mußte erst herausfinden, was hier gespielt wurde. Und vor allem mußte sie ihre Handlungsfreiheit zurückbekommen.
Von der hügeligen Landschaft, durch die sie getragen wurde, bekam sie kaum etwas mit. Jeder Galoppsprung verursachte ihr teuflische Schmerzen, und jedesmal glaubte sie aufs Neue,
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