045 - Das Kind des mordenden Götzen
nutzlos verhallt wäre. Rohe Hände schleppten sie weiter. Eine Sekunde lang dachte sie an die beiden Nordamerikaner, die sie am Abend getroffen hatte. Dann erlosch auch diese Erinnerung. Eine gnädige Ohnmacht hatte sie umfangen.
Die Männer ~ schleppten das leblose Bündel zum Dorf hinaus. Ein schweigender Zug machte sich auf jenen Weg, den er in dieser Nacht schon einmal gegangen war. Chico Moleza führte ihn an. Groteske Sprünge vollführend, lenkte er die Diener des mordenden Gottes zurück zum Opferplatz. Mitternacht war schon längst vorüber.
Der Schein der Fackeln brach sich an den feuchtkalten Felswänden im Berglabyrinth. Tropfen leuchteten auf wie gleißende Tränen. Chico Moleza war in einen monotonen Singsang verfallen. Die Meute stimmte ein. Dumpf hallten ihre Stimmen in den Gewölben.
Dann traten sie hinaus in den mondbeschienenen Talkessel, in dem die Pyramide mit dem Opferstein wartete. Chico Moleza stieg die Treppen hinauf. Schweiß glänzte auf seiner breiten Stirn und rann in Bächen die Schläfen hinunter. Sein Mund War grausam verzerrt.
Ein jahrtausendealtes Schauspiel nahm seinen Lauf. Es war das Schauspiel des Todes. Jeder der Männer kannte seine Rolle. Vergessen geglaubte Instinkte wurden wieder wach.
Die Männer bildeten einen Kreis. Wie gelbe Irrlichter züngelten aufgereiht die Flammen der Pechfackeln und erhellten düstere Gesichter, die keine menschliche Regung mehr zeigten.
Felisa Fuengeres war erwacht. Sie strampelte mit den Beinen, doch schwielige Hände hielten sie wie Eisenklauen umklammert. Sie wurde hinaufgezerrt, wo die Chacmol-Figur steinern auf sie lauerte. Die Figur, auf der sie ihr Leben aushauchen sollte.
Die junge Frau schrie, doch ihr Schrei verwehte ungehört in der Nacht, die die grausige Opferstätte umfangen hielt. Hände, die sie früher freundlich im Gruß geschüttelt hatte, Hände, die ihr vertrauensvoll die Kinder zum Unterricht geführt hatten, diese Hände preßten sie jetzt auf den kalten Stein und verdammten sie zur Bewegungslosigkeit.
Chico Moleza riß an ihren Kleidern, bis sie nackt vor ihm lag. Wellen der Scham schlugen über der Frau zusammen, doch niemand achtete auf ihre Gefühle.
Der Mann mit dem Federschmuck drückte den Nagel seines Zeigefingers in die sanfte Wölbung ihres Bauches und zeichnete darauf einen Kreis, der sich weiß gegen die braune Haut des Mädchens abhob. Das Symbol des Sonnengottes. Dann strich er über jene Stelle unter der linken Brust, an der er den Dolch in das warme Fleisch stoßen würde. Zur höheren Ehre Xandros’.
Felisa Fuengeres fröstelte. Doch das geschah nicht wegen der Kälte. Wie ein Eishauch legte sich ein unsichtbarer Schleier über ihren nackten Körper. Dann bemerkte sie, wie er gefühllos wurde. Sie spürte die suchenden Hände des Indiopriesters nicht mehr.
Als Chico Moleza das Messer über sie hielt und es dabei wie eine Weihgabe auf seinen flachen, ausgestreckten Händen dem Gott darbot, schloß Felisa die Augen. Sie war plötzlich ganz ruhig geworden. Sie hatte es aufgegeben, mit gehetzten Gedanken zu verfolgen, was mit ihr geschah. Felisa Fuengeres hatte sich selbst aufgegeben und erwartete den Todesstoß, der ihrer Qual ein Ende setzen würde.
Doch dieser Todesstoß blieb aus.
Wie eine Statue stand Chico Moleza. Die Tradition erlaubte es nicht, das Opfer bei nächtlicher Dunkelheit zu vollbringen. Er wartete auf den ersten Sonnenstrahl, der über die gezackten Felsketten im Osten auf die Spitze der Pyramide traf.
Die Fackeln brannten herab. Einige waren schon erloschen. Die Männer am Fuß der Pyramide standen schweigend, ihre Gesichter zum allmählich heller werdenden Himmel erhoben. In fahlem Blau kündigte sich der neue Tag an. Die Minuten verrannen. Der Horizont schimmerte silbern.
Dann zogen sich plötzlich Wolken über dem Talkessel zusammen. Schwarz und unheildrohend jagten sie über den Morgenhimmel, zerfetzten an den hoch aufragenden Felsgipfeln, zerstoben im beginnenden Sturm, der brausend die scharfen Steinkanten umsang. Die Melodie der Mächte der Finsternis heulte klagend über die Köpfe der Wartenden hinweg, die jetzt die Schultern zusammenzogen und bang gegen die schwarzen Wolken blickten. Die ersten Tropfen fielen klatschend auf den Fels und zerplatzten sprühend.
Chico Moleza ließ seine Hände mit dem Messer sinken. Die Sonne hatte ihr Antlitz verborgen.
Xandros wollte das Opfer nicht. Noch nicht.
Der Indio löste sich aus seiner Starre und wandte sich langsam um zu
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