045 - Das Kind des mordenden Götzen
den Männern, die den Opferberg umlagerten. Die letzten brennenden Fackeln zischten unter den fallenden, vom Sturm gepeitschten Tropfen. Weiße Rauchfahnen stiegen auf und wurden sofort vom Wind weggetragen.
Der Regen fiel dichter; die Tropfen fielen feiner und stachen wie spitze Nadeln in die wettergegerbten stoischen Gesichter, stachen die Haut an den muskulösen Armen und an den von schwerer Arbeit gebeugten Körpern.
Ein unwirkliches Zwielicht leuchtete über dem Opferstein. Dann riß die dichte Wolkendecke im Zucken des ersten Blitzes auf. Berstend folgte das Krachen des Donners. Sein dröhnender Schall rollte über den Fels, der den verborgenen Talkessel umschloß, und brach sich hundertfach an den steinernen Wänden.
Chico Moleza rief etwas in den Sturm. Die Männer verstanden. Zwei von ihnen kamen die Pyramide herauf und griffen nach dem nackten Mädchen. Felisa wehrte sich nicht. Sie ahnte, daß ihre Zeit noch nicht gekommen war, daß ihr Leben noch einmal verschont blieb. Doch gleichzeitig wußte sie, daß ihr nur ein kurzer Aufschub vergönnt war. Daß der mordende Gott nur zu einer anderen Zeit nach ihrem Blut gierte. Willenlos ließ sich die Lehrerin wegtragen. Nur am Rande nahm sie wahr, wie sie durch dunkle Höhlengänge gezerrt und schließlich auf bloßen Stein geschleudert wurde. Stricke rieben an ihren Gelenken.
Felisa Fuengeres wurde gefesselt. Es gab kein Entrinnen für sie.
Dann war sie allein. Nur das stete Tropfen von Wasser drang an ihr Ohr. Es lullte sie ein in den gnädigen Schlaf der Erschöpfung.
***
»Das ist doch unglaublich«, schimpfte Barry Queens, nachdem er die Augen aufgeschlagen hatte. Er tappte hinüber zum anderen Bett und haute Morgan mit der Kraft eines mittleren Dampfhammers auf die Schulter.
»Bist du wahnsinnig geworden?« rief Patrick Morgan und fuhr steil von seinem Lager hoch. »Wenn du was kaputtmachen willst, dann zerquetsche die Wanzen, die sich hier überall breitmachen. Warum weckst du mich?«
»Wegen dem da«, antwortete Queens und deutete auf das Fenster, gegen das der Regen trommelte. »Es regnet.«
»Das sehe ich, aber deswegen brauchst du mir doch nicht die Schulter zu zertrümmern. Was? Es regnet?«
Morgan sprang aus dem Bett und lief ans Fenster.
»Tatsächlich/Es regnet«, sagte er. »Das ist doch unglaublich.«
»Sagte ich doch«, murmelte Queens. »Um diese Jahreszeit hat es in der Sierra noch nie geregnet. Ich hoffe, du hast für mich einen Regenmantel im Gepäck. Ich kann so nicht arbeiten. Da schwemmt es mir die Kameras aus der Hand, und das mag ich nicht.«
»Lange kann der Zauber nicht dauern«, meinte Patrick Morgan und zweifelte an seinen eigenen Worten. Aus dem Hinterhof vor ihrem Fenster war eine gigantische Schlammpfütze geworden, in der die Küchenabfälle schwammen.
»Wie spät ist es?« erkundigte sich Queens. »Meine Uhr ist stehengeblieben.«
»Acht Uhr vorüber. Mal sehen, ob es schon, etwas zum Frühstück gibt.«
Die Männer zogen sich an. Durch die Ritzen des schmutzigen Fensters pfiff kalt der Wind. Das Wasser in der Karaffe auf der Kommode war trübe. Es mußte schon tagelang gestanden haben. Insekten und Käfer schwammen tot auf der Oberfläche. Patrick Morgan schüttelte sich. Die Morgentoilette würde er ausfallen lassen. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen.
Die Strapazen des Vortages hatten dafür gesorgt, daß sie während der Nacht kein einziges Mal aufgewacht waren. Ihr Schlaf war tief und traumlos gewesen. Doch der triste Regenschleier vor ihrem Fenster drohte den frisch gewonnenen Unternehmungsgeist wieder zu zerstören. Morgan streckte sich und ließ seine Muskeln spielen. Danach fühlte er sich etwas wohler in seiner Haut.
Barry Queens hatte den Tisch mit Beschlag belegt. Einer seiner Aluminium-koffer nahm die ganze Fläche ein. Morgan trat neugierig näher. Er deutete auf ein Gerät, das er bei seinem Freund noch nicht gesehen hatte. »Wozu soll das gut sein?«
Queens zerrte ein paar Socken zwischen Lederköchern und Optiken hervor. »Meine neueste Errungenschaft«, erklärte er. »Ein Videorecorder. Ich habe ihn günstig bekommen. Kann manchmal ganz nützlich sein, wenn es schnell gehen muß und man sofort sehen will, was man aufgenommen hat.« Er klappte den Koffer wieder zu und streifte sich die Socken über die Füße. »Ich bin fertig«, sagte er schließlich. »Meinetwegen können wir. Mein Magen meldet Ebbe.«
Auch Patrick Morgan war bereit. Mit den Fingern ordnete er notdürftig sein
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