045 - Mörder der Lüfte
bestätigte Castillo gedankenverloren. »Der weiße Adler ist mein zweiter Körper. Sehen Sie mich an. In diesem verkrüppelten Körper bin ich nur ein halber Dämon. Nein, widersprechen Sie mir nicht, Coco. Was wissen Sie schon? Sie müssten einmal im Körper des weißen Adlers gewesen sein, um zu wissen, was es heißt, frei zu sein, der Schwerkraft zu trotzen, denen auch wir Schwarzblütige unterworfen sind. Sie müssten dies erst einmal erlebt haben, um mich verstehen zu können.«
»Ich glaube, das kann ich auch so«, meinte Coco. Sie konnte den Blick nicht von dem weißen Adler lassen. Und je mehr sie ihn betrachtete, desto größer wurde ihre Hochachtung vor ihm, aber auch ihre Angst. Sie fühlte plötzlich, dass dieser weiße Adler ihr Gegner war. Vielleicht war er eifersüchtig auf sie, bangte um die Gunst seines Meisters, fürchtete, dass sie ihm den Rang ablaufen könnte. Aber wie dem auch sein mochte, sie wusste, dass ihr von diesem weißen Adler eine große Gefahr drohte.
Als wolle er ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigen, sagte Castillo: »Hüten Sie sich vor ihm. Tun Sie nichts, was ihn provozieren könnte. Versuchen Sie vor seinem scharfen Blick zu verbergen, dass Sie ein Kind erwarten!«
Coco zuckte bei diesen Worten zusammen, als wäre ein Blitz in sie gefahren. Ihr Kind! Sie wusste plötzlich, dass die eigentliche Drohung sich gegen ihr Ungeborenes richtete. Die Knie begannen ihr zu zittern, ihre Beine wurden auf einmal so kraftlos, dass sie wankte. Hätte Castillo sie nicht gestützt, wäre sie zusammengebrochen.
»Im Grunde genommen haben Sie nichts zu befürchten, wenn Sie alle meine Anweisungen befolgen, Coco«, redete ihr der Herr über die gefiederten Mörder zu. »Schließlich brachte Magus VII. Sie zu mir, damit Ihnen nichts zustößt. Und dafür verbürge ich mich. Es tut mir Leid, wenn ich Sie erschreckt habe.«
Coco glaubte das nicht. Sie war sicher, dass Castillo absichtlich auf ihr Kind angespielt hatte. Wollte er nur ihre Reaktion beobachten, wenn sie hörte, was ihrem Ungeborenen zustoßen könnte? Sie musste sich in Zukunft besser in der Gewalt haben, sagte sie sich. Sonst würde sie ihre wahren Gefühle verraten.
»Sie können sich im ganzen Canyon frei bewegen«, fuhr Castillo fort. »Sie haben überall Zutritt, können zu den Adlerhorsten hinaufklettern und im Fluss am Grund des Canyon baden, wenn er gerade Wasser führt, was im Augenblick leider nicht der Fall ist. Wenn Sie das Bedürfnis haben, können Sie auch tagelange Wanderungen durch die Wildnis unternehmen. Ich werde Sie nicht daran hindern. Meine Vögel werden Sie schon im Auge behalten und es mir anzeigen, falls Sie sich verlaufen.«
Damit wollte er ihr zu verstehen geben, dass jeder Fluchtversuch sinnlos war, dessen war sie sicher.
»Es gibt überhaupt nur eine Einschränkung für Sie, Coco«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Sie betrifft mein Haus. Sie dürfen es zwar jederzeit betreten, doch gehen Sie nicht über den Raum hinaus, in dem ich Sie empfangen habe. Übertreten Sie nie die Schwelle zu den dahinterliegenden Gewölben. Wenn Sie dieses Verbot übertreten, dann kann ich für nichts garantieren. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja«, sagte Coco. »Ich werde mich daran halten.«
Sie musste sich abwenden, weil sie dem stechenden Blick des Falken auf Castillos Schulter nicht standhalten konnte.
»Gut«, meinte Castillo zufrieden. »Nachdem das geklärt ist, können wir uns erfreulicheren Dingen widmen. Ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen ein grandioses Schauspiel vorzuführen. Bevor Magus VII. mit Ihnen eintraf, habe ich mit dem weißen Adler einen Erkundungsflug nach Süden unternommen und dabei zwei Indios erspäht. Sie schürfen in einem verlassenen Canyon nach Silber und sind nur mit Macheten bewaffnet. Eine leichte Beute für meine Tierchen. Es wird Sie sicherlich ergötzen, bei der Vogelfütterung zusehen zu dürfen.«
Coco schluckte. »Ein andermal bestimmt«, sagte sie mit belegter Stimme. »Aber heute fühle ich mich nicht in der richtigen Stimmung. Ich bin müde, und all die vielen neuen Eindrücke haben mich verwirrt. Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich in meine Hütte zurückziehe. Ich möchte im Augenblick nichts als meine Ruhe.«
»Dafür habe ich Verständnis«, sagte Castillo. »Entspannen Sie sich, Coco – und träumen Sie süß. Denken Sie daran, dass meine Vögel über Sie wachen. Aber vergessen Sie eines nicht: Hüten Sie sich davor, den weißen Adler zu
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