045 - Mörder der Lüfte
flog.
Nicht, dass der Gringo knauserig gewesen wäre. Er hatte einige Flaschen auf den Tisch gezaubert und alle feilgehalten, die nichts gegen einen guten Schluck hatten.
Und dabei waren sie ins Reden gekommen.
Rodrigo bemerkte sehr wohl die warnenden Blicke der anderen – aber warum sollte er zu dem Gringo nicht über das sprechen, was sie in diesem verdammten Nest durchzumachen hatten?
Sie lebten in ständiger Angst vor dem weißen Adler, und jeder hatte schon mit dem Gedanken gespielt, von hier fortzuziehen. Aber wohin sollten sie? Alle waren schon mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und durften sich in keiner der Städte blicken lassen. Er, Rodrigo, hatte einmal … Aber so indiskret war er wieder nicht, über seine Verfehlung zu plaudern.
Doch welchen Grund gab es, über ihre Situation in Real de Contrabandista zu schweigen?
Der weiße Adler hatte schon viele von ihnen geholt, so wie heute. Es war eine schon fast natürliche Art zu sterben, wenn einen der weite Adler holte. Blicke dich um, Gringo, wer trauert schon um den Alten, der dem Weißen zum Opfer gefallen ist? Jeder ist froh, dass es nicht ihn selbst erwischt hat.
Nur wenn sich der Adler mal eines der Kinder holte, kannte das Wehklagen kein Ende. Deshalb durften die Kinder auch nie ohne Begleitung hinaus. Die Kinder waren so etwas wie Heilige in Contrabandista, si Señor.
Verdammt, schmeckte der Bacardi gut! Ganz anders als der ordinäre Pulque, der schon beim Abzapfen von der Maguey zu gären begann. Was nicht lange reifen konnte, wurde auch nie was Richtiges. Ganz anders der weiße Rum des Gringos Hunter!
Rodrigo bekam auf dem Heimweg einen Schluckauf, und das störte ihn beim Denken.
Hatte er wirklich zuviel ausgeplaudert? Nun, zugegeben, der Gringo hatte ihm tatsächlich Löcher in den Bauch gefragt. Vor allem wollte er ihn über Jimenez aushorchen.
Aber was wusste Rodrigo schon über Jimenez? Praktisch nichts. Nur das, worüber alle redeten, und das war ja kein Geheimnis.
Dass Jimenez vor drei Jahren Frau und Kind durch den weißen Adler verloren hatte und sich danach schwor, nur noch für seine Rache zu leben. Jimenez heckte irgendetwas aus. Aber darüber konnte Rodrigo diesem Hunter nichts sagen. Er wusste nicht, was Jimenez trieb. Er lebte außerhalb der Grubenstadt irgendwo in einer Höhle.
Wo diese Höhle lag? Das wusste niemand außer Jimenez und Pedro.
Pedro, das war der dreizehnjährige Bengel, der vor einem Jahr zusehen musste, wie der weiße Adler zuerst seine Mutter und dann seinen Vater, der Jagd auf ihn machte, verschleppt hatte. Seitdem waren Jimenez und der Bengel ein Herz und eine Seele, hielten zusammen wie Pech und Schwefel.
Rodrigo kreidete Jimenez nur an, dass er Pedro oft ohne Aufsicht ließ. Ob Jimenez den Jungen als Köder für den weißen Adler missbrauchte, wollte der Gringo wissen. Auf diese Idee war Rodrigo noch nicht gekommen.
Aber sicher war nur, dass Jimenez es nicht zulassen würde, dass jemand anderer als er den weißen Adler zur Strecke brachte. Aha, sagte dieser Gringo Hunter, deshalb hat er mich nicht zum Schuss kommen lassen.
In Rodrigos Kopf drehte sich alles. Er brauchte was Scharfes, damit er wieder klarer denken konnte. Dieser verdammte Gringo hatte sich geweigert, als Rodrigo nichts mehr zu berichten wusste, noch eine Flasche zu köpfen. Rodrigo hatte gute Lust, sein Flugzeug anzuzünden und ihm den Schädel einzuschlagen. Aber davon wollten die anderen nichts wissen.
Rodrigo blieb nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen. Er wohnte zusammen mit Irasema in dem Gebäude, das vor der Revolution das Gefängnis gewesen war. Aber jetzt gab es darin keine Eisenstäbe, keine Fensterrahmen und Türen mehr. Das Eisen war verhökert und das Holz als Wärmespender verbrannt worden.
Die Nächte in der Sierra Madre waren kalt. Bitter kalt. Aber diese Nacht würde ihn Irasema nicht wärmen können. Eine Flasche Pulque würde es tun.
Er torkelte ins Gebäude und zu der Lagerstatt, auf der sich Irasema schlaftrunken rekelte.
»Raus, du Schlampe!«, herrschte er sie an. »Wo hast du den Agavenschnaps versteckt?«
»Es ist nichts mehr im Haus«, beteuerte Irasema.
»Dann beschaffe welchen!«
»Aber woher?«
Er grinste.
»Du weißt, wo die Agaven stehen. Also mach, dass du hinkommst und sie anzapfst. Ich habe Durst.«
»Das ist nicht dein Ernst!«
»Und wenn ich durstig bin!«
»Du willst mich doch nicht allein in der Nacht …«
»Du hast doch nicht etwa Angst?«
»Wer kann mir das
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