0453 - Die Vögel des Bösen
Erst wenn man sich wirklich in der anderen Sphäre befand, vermochte man zu sehen - aber nur das, was dem Gehirn gewissermaßen ›gefiltert‹ oder ›übersetzt‹ gezeigt wurde…
Zamorra war schon einige Male in der Hölle gewesen, und jedesmal hatte er sie anders gesehen. Ihm war klar, daß er auch jetzt wieder in optisches Neuland vorstoßen würde. Warum das so war, gehörte auch zu den unbegreiflichen Dingen.
»Jetzt«, murmelte Zamorra, gab dem in seiner Konzentration versunkenen Ted einen Stoß auf das Tor zu und folgte ihm.
Ted verschwand in einer grellen Leuchterscheinung.
Im letzten Moment spürte Zamorra Gefahr, wollte sich noch zurückwerfen, auch nach Ted greifen, um ihn wieder aus dem Weltentor zu ziehen. Irgend etwas stimmte nicht, es mußte eine Falle sein, auch wenn Zamorra nicht begriff, wieso er zu dieser Annahme kam, denn es wußte doch niemand, daß sie in die Hölle vordringen wollten, demzufolge konnte doch auch niemand auf die Idee kommen, ihnen eine Falle zu stellen!
Dennoch…
Aber es war bereits zu spät. Der Schwung war zu stark. Die Umgebung um Zamorra herum verschwamm bereits, wurde unkenntlich. Und dann war es vorbei.
Schwärze hüllte ihn ein, und um ihn herum war das Nichts.
Keine Hölle.
Kein Ted Ewigk.
Überhaupt nichts. Nur gähnende Leere. Kein Rechts und links, kein oben und unten, kein vorn und hinten. Kein Boden mehr unter seinen Füßen.
Und es gab keinen Weg mehr zurück, denn das Tor war verschwunden…
Die Falle war zugeschnappt!
***
Calderone richtete sich langsam auf und starrte das Mädchen im Bikini an, das in einer halb geöffneten Zimmertür stand und ihn mit großen Augen ansah. Mühsam unterdrückte er den Reflex, die Waffe wieder an sich zu nehmen und das Girl ebenfalls niederzuschießen. Aber noch zögerte er. Sein Prinzip war es immer gewesen, mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Erfolg zu erzielen.
Vielleicht war das Girl erst in den letzten Sekunden aufgetaucht, als schon alles vorbei war…
Es konnte nur so sein!
Wenn er wußte, wieviel sie noch gesehen hatte, würde er danach entscheiden. Aber diese Information mußte er erst einmal erhalten.
Im Gegensatz zu Frauen in Filmen, die mit schöner Regelmäßigkeit hysterisch loskreischen, sobald sie einen Toten sehen, verhielt sich dieses Girl erstaunlich ruhig und strafte damit die Routine der Filmemacher Lügen. Nur die Augen wurden immer größer…
»Zu spät«, sagte Calderone leise. »Ich bin leider zu spät gekommen.«
Das Mädchen fand die Sprache wieder. »Was - was ist passiert? Was ist mit Loewy… äh, Roul? Mit ihm …?« Und jetzt erst deutete sie auf Loewensteen, weil ihr offenbar einfiel, daß ein Fremder ihn möglicherweise nicht kennen konnte. Dann wich sie langsam zurück. »Wer sind Sie überhaupt? Woher kommen Sie? Was wollen Sie?«
»Das sind viele Fragen auf einmal«, gab Calderone zurück. »Möchten Sie nicht… erst einmal die Polizei anrufen?«
Das Mädchen schluckte. »Wer hat ihn erschossen? Der da?« Und sie zeigte unsicher auf den bewußtlosen Tendyke.
Hatte sie den Mord wirklich nicht beobachtet?
»Die Polizei?« kam das zögernde Echo. »Aber…«
Erst jetzt schien sie zu begreifen, - wirklich zu begreifen, was geschehen war. Sie wurde blaß. Aber auch jetzt schrie sie nicht filmreif. Sie fuhr nur herum und verschwand wieder in dem Zimmer, aus dem sie gekommen war. Langsam folgte Calderone ihr. Er sah sie zum Telefonhörer greifen und eine kurze Zahlenfolge eintippen. Dann bekam sie die gewünschte Verbindung und berichtete von dem Mord. »Der Mann, der schon zweimal hier war, der sich als Tendyke ausgibt… hat die Waffe noch in der Hand… er ist niedergeschlagen worden… ja, ich erwarte Sie!«
Langsam legte sie den Hörer auf und wandte sich um.
Plötzlich tauchte in der gegenüberliegenden Tür, die zur Terrasse hinaus führte, ein weiteres Mädchen auf, wohl nur mit einem Handtuch bekleidet, das es sich um die Hüften geschlungen hatte. Es zuckte zusammen, als es Calderone sah.
Das Bikini-Girl faßte nach dem Arm des anderen Mädchens.
»Josy, Loewy ist tot! Der angebliche Tendyke hat ihn erschossen, die Polizei ist unterwegs! Dieser Gentleman hat ihn niedergeschlagen, kam aber zu spät…«
Calderone verzog keine Miene. Sollte die Sache funktionieren? Sollte das Bikini-Mädchen wirklich nichts gesehen haben?
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« bot er scheinheilig an.
»Wer sind Sie überhaupt?« wiederholte das Bikini-Mädchen eine
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