0454 - Der blutrote Zauberteppich
nicht um. Was er zu sagen hatte, sprach er in die Flammen, obwohl die Worte an den König gerichtet waren.
»Die Templer werden leben!« rief de Molay mit überlauter Stimme. »Keiner kann sie für alle Zeiten vernichten. Nach mir werden andere kommen, aber dies, Sire, werdet Ihr nicht mehr erleben. Euer Dasein wird noch in diesem Jahr beendet sein. Das weiß ich, Sire. In der Hölle ist bereits Platz für Euch…«
Beim letzten Wort hatte er sich in Bewegung gesetzt. Er brauchte nur zwei Schritte zu gehen, um die Flammen zu erreichen. Und er schritt hinein, als würde er durch eine völlig normale Tür gehen.
So aufrecht, so stolz und nicht zu besiegen.
Ich sah ihn brennen. Die Gier der Flammen war unersättlich, sie griffen nach ihm, die Kleidung loderte auf, dann erging es ihm wie dem Folterknecht.
Unter dem Gewicht seines Körpers brachen die glühenden Holzreste zusammen, und er fiel in die tiefe Mulde hinein, so daß er von mir nicht mehr gesehen werden konnte.
Ein Held war gestorben, und zwei andere Helden traten den gleichen Weg an.
Bevor Bertrand de Valois die letzten entscheidenden Schritte tat, schaute er noch in die Höhe.
Ich hatte dabei das Gefühl, als wollte er Kontakt mit mir suchen, aber er konnte mich unmöglich sehen.
In meinen Augen brannte es, als ich Zeuge wurde, wie ein de Valois aufrecht wie ein Märtyrer in den Tod schritt. Auch er fiel in die Mulde und wurde zu Asche.
Die Soldaten wandten sich ab und verließen die Plattform. Erst als sie die Treppe hinter sich gelassen hatten, brandete plötzlich ein gewaltiger Jubelsturm in den dunklen Himmel über der Juden-Insel hoch. Ein Schrei der Freude, der Ausdruck des Sieges.
Und Philipp der Schöne sonnte sich in den Hochrufen seiner Untertanen. Für sie war er der Sieger, ohne allerdings zu ahnen, daß das Schicksal auch seine Lebensweichen längst gestellt hatte.
Der Geschichte war genüge getan worden. Auch ein Mann aus der Zukunft hatte daran nichts ändern können, aber dieser Mensch wollte wieder zurück in seine Zeit.
Und das war das Problem!
***
Ich achtete nicht auf die Jubelrufe. Zuviel war einfach geschehen, und vor meinen Augen wollte das Bild, das ich gesehen hatte, nicht verschwinden.
Ich hatte dem Tod dreier Männer tatenlos zuschauen müssen. Das wurmte mich, das brannte wie ein Feuer in mir. Noch stärker aber war der Wunsch, wieder zurück in meine Zeit zu gelangen. Dieser Teppich konnte es schaffen, er besaß die Kraft, das wußte ich, aber wie sollte ich ihn dazu bringen.
Nicht die erste Zeitreise lag hinter mir. Wenn ich in anderen Dimensionen verschollen gewesen war, so hatte es stets eine Möglichkeit zur Umkehr gegeben, selbst aus Aibon.
Hier allerdings konnte ich mich nicht auf meine Kraft verlassen. Die Fremde mußte beweisen, daß sie auch mich, den eigentlich ungläubigen akzeptierte.
Sie tat es wohl nicht.
Ich erschrak zutiefst, als sich der Teppich plötzlich schüttelte, als wäre er von einem Sturmwind erfaßt worden. Unwillkürlich klammerte ich mich fester, aber gleichzeitig verstärkte sich der Druck der sechs Hände, so daß ich den Eindruck bekam, als wollten mir diese Klauen die Knochen brechen.
Angst überfiel mich.
Vergeblich kämpfte ich darum, mich befreien zu können. Ich saß auf dem Teppich wie ein zu Stein gewordener Mensch, und in meiner unmittelbaren Umgebung tat sich etwas.
Der Teppich hatte das Grauen geschluckt, festgehalten, um es zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder freizulassen.
Der war jetzt erreicht!
Aus der samtenen Unterlage und den für mich kaum erkennbaren Poren stieg etwas hervor.
Zunächst waren es dünne Nebel- oder Rauchschleier, die ständig Nachschub bekamen und sich allmählich zu Figuren verdichteten, die die Form von Gesichtern annahmen.
Fremde Gesichter…
Verzerrt, fratzenhaft, bleich und leblos, obwohl sie sich bewegten.
Ein Bild, das mich schockierte, mir gleichzeitig die eigene Hilflosigkeit vor Augen hielt, weil es mir wegen meiner Bewegungslosigkeit nicht gelingen würde, die Gesichter zu vertreiben.
Sie blieben, sie hatten mich eingekreist, und sie starrten mich an. Drei Geister, die der Teppich gefangen hielt. Die verfluchten Seelen der orientalischen Zuschauer, deren Hände noch vorhanden waren und mich hart hielten.
»Was wollt ihr?« fragte ich, in der Hoffnung, daß sie meine Sprache verstehen würden. »Redet, wenn ihr könnt!«
Sie sprachen nicht, aber die Hände bewegten sich. Der Griff lockerte sich etwas, war das die Chance?
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