0455 - Der Lord und die Geister-Lady
können«, sagte ich. »Was ist geschehen? Wo befindet sich Ihre Frau?«
»Ich weiß es nicht!«
»Haben Sie versucht, sie zu erschlagen?«
»Ja.«
»Aus welch einem Grund?«
»Nein, nein. Ich werde nichts sagen, überhaupt nichts. Haben Sie verstanden. Keinen Ton bekommen Sie aus mir heraus, verdammt noch mal. Sie sind…«
Er konnte nicht mehr sprechen oder wollte es nicht mehr. Ich ließ ihn liegen. Der Lord war in diesem Spiel nur eine Randfigur. Seine Frau, die Lady, zählte.
Obwohl ich es eilig hatte, sah ich mich vor, als ich die Bibliothek verließ. Ich geriet wieder in die Eingangshalle, in der mir die Beleuchtung überhaupt nicht gefiel.
Es war zu dunkel. Nur eine Wandlampe gab einen milchigen Schein ab, das mußte sich ändern.
Ich ging an der rechten Wand entlang und suchte einen Schalter.
Sehr schnell hatte ich ihn gefunden und umgekippt. Unter der Decke wurde ein Lüster hell.
Lady Mary sah ich nicht. Sie hielt sich bestimmt nicht hier unten verborgen. Die gewundene Treppe eignete sich ideal für eine Flucht in die oberen Etagen.
Es konnte auch sein, daß sie das Haus verlassen hatte, aber daran wollte ich nicht so recht glauben.
Das Licht erreichte auch die blanken Holzstufen der Treppe.
Schwach waren dort Fußspuren zu erkennen, als wäre die Frau in die oberen Geschosse enteilt.
Ich wollte ihr nach.
Noch hatte ich meinen Fuß nicht auf die unterste Stufe gesetzt, als ich von oben her Schritte hörte.
Sofort blieb ich stehen.
Lady Mary Danford erschien. Obwohl sie Kontakt mit dem Boden hatte, kam es mir so vor, als würde sie schweben, so daß mir der Begriff Geister-Lady in den Sinn kam.
Sie hatte eine Hand auf das Geländer gelegt, als brauchte sie eine Stütze. Ich rechnete damit, daß sie mir entgegenkommen würde, aber sie blieb vor der letzten Stufe stehen.
Nur ihren Körper schob sie etwas weiter vor, so daß der Lichtschein des Lüsters sie erreichte.
Auf den ersten Blick sah sie völlig normal aus. Erst bei genauerem Hinsehen stellte ich fest, was mit ihr geschehen war. An ihrer linken Körperseite hatte sie sich verändert. Durch das Kleid und im Gegenlicht des Lüsters schimmerten die Rippen.
Lady Mary Danford war auf der einen Seite zum Skelett geworden.
Ich mußte schlucken, denn damit hatte ich nicht rechnen können.
Und ich dachte wieder an die Dämonensonne, die das Fleisch und die Haut von den Knochen ätzte.
Lady Mary stand da und rührte sich nicht. Für mich war sie ein monströses Monstrum. Irgendwie konnte ich verstehen, daß der Lord versucht hatte, sich seiner Frau zu entledigen, aber die Lady war sicherlich zu stark für ihn gewesen.
Lord Danford hatte die Geister gerufen, die er nun nicht wieder loswurde.
»Ich hatte recht, nicht wahr?« rief ich zu ihr hoch.
»Ja, es stimmt!« antwortete sie. Ihre Stimme klang in der Weite der Diele hallend. »Mein Geist hat sich vom Körper getrennt. Ich habe die rote Dämonensonne gesehen, und ich sah noch viel mehr. Ich hätte auch weiter sehen und Reisen unternehmen können, aber man holte mich zurück. Es war eine besondere Welt, in die ich eindrang. Eine Welt der roten Sonne und der Schatten.«
»Haben Sie diese Welt ganz durchwandern können?«
»Nein, doch ich weiß, wer sie beherrscht. Wer aus den Tiefen emporgestiegen ist. Ein Dämon, mächtig, gewaltig, der seine Fesseln abschütteln konnte und noch weitere abschütteln wird. Sein Name verbreitet Furcht und Schrecken. Seine Diener, durch die Sonne gezeichnet und gestärkt, sind unbesiegbar.«
»Wer ist dieser Herrscher?«
»Susanoo!«
Ich ballte beide Hände zu Fäusten. Das war eine Überraschung!
Und von Susanoo war der Weg zu Shao nicht weit. Sie hatte sterben müssen, um ihm den Weg aus dem Dunklen Reich zu ebnen. Er hatte auch seine Schwester Amaterasu durch Shaos Tod besiegen können und konnte endlich den Weg gehen, den er schon immer hatte beschreiten wollen.
»Ist er allein?« fragte ich.
»Nein, seine Helfer stehen bei ihm.«
»Gehörst du auch dazu?«
»Alle, die in sein Reich gelangten, müssen ihm dienen. Ich bin ein Mensch und ein Monster. Ich führe eine Doppelexistenz und bin gehärtet worden. Selbst ein Schlag mit dem Schürhaken konnte mir nichts anhaben. Ich lebe weiter.«
»Mit Ihrem Mann?«
»Ja.«
»Welche Aufgabe haben Sie? Was hat man Ihnen alles gesagt, Lady Danford. Haben Sie jemand gesehen, sind andere Diener dabei?«
»Ja, eine Frau. Ich hörte ihren Namen.«
»Wie heißt er?«
»Shao!«
Diesmal schoß mir
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