046 - Der Schatten des Werwolfs
und malte Figuren; dabei überlegte ich.
Im Morgengrauen stand mein Entschluss fest. Ich würde mitmachen; ich würde einwilligen. Die Dämonen hatten Recht, es war meine einzige Chance, Coco zu retten. Jeder Tag, der verging, verschärfte die Situation.
Lilian und meinen Gefährten sagte ich nichts von meiner Zusammenkunft mit den Dämonen.
Gegen Abend läutete das Telefon, und ich hob ab.
»Wie ist Ihre Entscheidung, Hunter?«
»Ich mache mit.«
»Gut«, sagte die tiefe Stimme. »Alkahest holt Sie morgen nach Mitternacht ab.«
Ich starrte den Hörer einige Sekunden lang an, dann legte ich auf.
Alkahest holte mich wie vereinbart ab. Den ganzen Tag war ich spazieren gewesen. Ich wusste, dass Lilian und Cohen mit mir sprechen wollten, doch ich wich ihnen aus. Mein Verhältnis zu Lilian war nichtssagend geworden – ich hatte mich nie mit ihr verstanden … und jetzt schon gar nicht mehr. Sie war eine Fremde für mich, und ich hatte mich in den vergangenen Wochen oft gefragt, was mich wohl vor Jahren bewogen hatte, sie zu heiraten. Sie war so gar nicht der Typ Frau, den ich mochte.
Der Dämonenrocker führte mich in das Haus, in dem ich tags zuvor gewesen war. Wieder waren die fünf gesichtslosen Dämonen versammelt. So wie am Tag zuvor saßen sie hinter dem Tisch. Doch sie waren nicht allein. Ihnen gegenüber saß ein Mann, den ich nie zuvor gesehen hatte.
»Das ist Ronald Chasen«, sagte einer der Dämonen.
Ich blieb neben Chasen stehen und sah ihn mir genau an. Was ich zu sehen bekam, gefiel mir nicht besonders. Er war ein unscheinbarer Mann, einer jener schwächlichen Typen, die ich noch nie hatte leiden können. Die Vorstellung, dass sich mein Ich in diesem Körper befinden sollte, wollte mir überhaupt nicht gefallen.
»Setzen Sie sich neben Chasen, Hunter!«, verlangte der Anführer der Dämonen.
Ich gehorchte.
»Nehmen Sie seine linke Hand!«
Wieder folgte ich. Chasens Hand fühlte sich kühl an.
Einer der Dämonen ging um den Tisch herum und blieb vor mir stehen. Er trug einen bodenlangen, schwarzen Umhang, der mit seltsamen Symbolen verziert war. Mit einem Griff stülpte er sich eine Kapuze über den Kopf, die keine Augenschlitze aufwies.
Zwei Dämonen trugen ein Dreibein herbei, stellten es hinter Chasen und mir auf, schürten die Kohlen an und warfen Kräuter ins helllodernde Feuer. Ein betäubender Duft breitete sich im halbdunklen Zimmer aus. Sie warfen noch mehr Kräuter ins Feuer. Dicke, grünliche Schwaden durchzogen den Raum.
Der Dämon mit der Kapuze murmelte vor sich hin, holte aus einer Tasche ein Stück Kreide und zog einen Kreis um Chasen und mich. Danach malte er das Stigma des Teufels Baal neben den Kreis. Die Rauchschwaden wurden immer dichter, und der Geruch wurde so intensiv, dass ich niesen musste.
Der Kapuzenmann hob beide Hände, und seine Beschwörungen wurden lauter. Einige Worte verstand ich, doch nach wenigen Minuten erlahmte meine Konzentrationsfähigkeit. Ich schloss die Augen und wurde schläfrig. Die Stimme des Dämons lullte mich ein. Ich wollte nur eines. Schlafen.
Irgendwann musste ich eingenickt sein, doch plötzlich zuckte ich zusammen. Ich spürte fremde Gedanken, undeutlich und verwirrend. Dann sah ich Bilder. Ein Haus, zuerst weit entfernt, dann kam es rasch näher, danach eine dicke Frau mit einem schwabbeligen Kinn und einer keifenden Stimme. Die Regent Street war zu sehen, ein sechsstöckiges Haus, Stufen, ein Aufzug, eine lächelnde Blondine, die einen zu engen Pulli trug, ein Büro mit einem riesigen Schreibtisch … Computer, Pläne, Schriftstücke … Die Bilder wechselten immer rascher. Gesichter tauchten auf, die ich nicht kannte.
Dann wurde es schwarz vor meinen Augen. Etwas explodierte, und ich spürte wieder fremde Gedanken, diesmal deutlicher. Gesichter waren zu sehen, die ich nun erkannte. Die dicke Frau, das war Carol, meine Ehefrau, die Blondine war Mona, meine Chefsekretärin, der bärtige Mann, das war Ellister McMauglin, für den ich ein Hochhaus entwerfen sollte, und die sinnliche Frau mit dem tizianroten Haar, das war Elvira Lorrimer, die wollte, dass ich ein gewaltiges Bauwerk schuf, ein Bauwerk, wie es die Welt noch nie zuvor gesehen hatte. Ein Jaguar. Das war mein Wagen. Ich konnte deutlich Chasens Gedanken lesen, und es gelang mir, in seinen Körper zu schlüpfen. Es war ein kurzer erbitterter Kampf mit Chasens Ich, aus dem ich als Sieger hervorging. Unsere Gedanken verschmolzen, und ich konnte seinem Körper meinen Willen
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