0462 - Der Wissende
„Schiffbrüchig, nicht wahr?"
Der Bärtige sah noch immer Ra an, fassungslos und fast entsetzt. Dann schüttelte er den Kopf und ging zum Feuer zurück. Er setzte sich neben den Alten und deutete auf einige herumliegende Holzstämme.
„Nehmen Sie Platz, und stecken Sie Ihre Strahler fort. Sie benötigen keine Waffen." Er sah Ra an und fuhr fort: „Es ist eine lange Geschichte, Offizier Ra.
Eine sehr lange Geschichte. Erkennen Sie mich nicht?"
Ra setzte sich. Langsam nickte er.
„Sie sehen einem Mann sehr ähnlich, der bis vor zwei Tagen mein Vorgesetzter war, Kommandant der ALTAON. Sie könnten sein Vater sein."
„Zwei Tage ...?" Der alte Mann hielt die Hände über das wärmende Feuer. „Zwei Tage also? Vor zwei Tagen landeten Sie? Ich habe erst heute den Kreuzer landen sehen. Dann muß ich vorgestern die Landung der ALTAON verpaßt haben. Kein Wunder, denn ich warte schon zu lange darauf." Ra holte tief Luft, dann sagte er: „Sie sind Farenda, mein Kommandant?"
„Ich war es, Ra, bis vor siebenunddreißig Jahren.
Solange warte ich bereits auf Sie. Ich frage mich nur, was geschehen wäre, wenn ich bei der Landung vorgestern zufällig auf der Lichtung gewesen Wäre.
Wäre ich mir selbst begegnet ...?"
Der Kreuzerkommandant hatte schweigend und ungläubig zugehört. Er beugte sich vor und sah den alten Mann an.
„Sie behaupten, Farenda zu sein?"
„Ich bin Farenda. Der schwarze Würfel hat mich und meine Leute über Nacht um siebenunddreißig Jahre in die Vergangenheit versetzt - fragen Sie nicht nach einer Erklärung. Ich habe keine. Ich bin nie mehr bei dem Würfel gewesen - vielleicht hat es ihn bis vor wenigen Tagen gar nicht gegeben. Gewöhnen Sie sich an den Umstand, daß Sie und ich in zwei verschiedenen Dimensionen leben und nur zufällig hier an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt zusammentreffen. Unsere Wege werden sich wieder trennen."
„Ich muß Sie mitnehmen, Farenda. Der Taschkar wird mit Ihnen sprechen wollen."
Farenda schüttelte den Kopf.
„Ich werde Sie nicht begleiten. Ich bleibe bei meinen Leuten."
Er deutete hinauf zu dem Hügel mit den Gräbern. „Ich wollte nur warten, bis die ALTAON landet, damit ich Gewißheit erhielt. Ich wollte feststellen, ob meine Gedanken richtig waren. Sie sind es."
„Ich werde ..."
„Nichts werden Sie, Kommandant! Niemand kann mich mit Gewalt zwingen, Sie zu begleiten. Ich existiere überhaupt nicht mehr. Ich bin nur ein Gespenst, verstehen Sie?"
Ra sah in die Flammen des Feuers.
„Ich kann es nicht begreifen. Es ist alles unmöglich, und vielleicht träume ich nur. Vorgestern waren Sie Farenda, mein Kommandant, ein Mann in den besten Jahren. Und heute ..."
„Siebenunddreißig Jahre!" erinnerte ihn Farenda.
„Wir warteten lange auf der Lichtung, aber dann stellten wir anhand von Baumvergleichen fest, daß es zwischen dreißig und vierzig Jahren dauern mußte, ehe die ALTAON kam. Hier am Fluß konnten wir besser überleben. Meine Männer starben an Krankheiten und Altersschwäche. Ich werde die mir noch verbleibenden Tage hier am Fluß verbringen, in Frieden und in Ruhe. Ich will nicht mehr zurück."
„Was soll ich dem Taschkar melden?" fragte der Kreuzerkommandant.
„Melden Sie ihm", sagte Farenda ruhig, „daß ich verschollen bin, irgendwo im Zeitstrom gestrandet und verschollen. Und vielleicht werden Sie eines Tages erfahren, was es mit dem Würfel auf sich hat - wenn Sie ihn dann noch finden. Vielleicht werden Sie wissen, wer ihn dorthin gebracht hat, in den Urwald eines unbewohnten Planeten. Aber vielleicht werden Sie es auch niemals wissen."
Ra stand auf.
„Sie wollen wirklich nicht mitkommen, Kommandant?"
„Nein, mein Entschluß steht fest. Ich bleibe."
Auch der Kreuzerkommandant erhob sich.
„Wir versorgen Sie gern mit Lebensmitteln und Waffen, wenn Sie es wünschen."
„Danke, wir haben alles, was wir brauchen. Und Waffen sind unnötig. Ich habe keine Feinde. Aber ich danke Ihnen, daß Sie mich gesucht haben. Ich hätte den weiten Weg bis zu den Schiffen nicht mehr geschafft. Leben Sie wohl - und nochmals Dank."
Die Takerer stiegen in den Gleiter, der sich Sekunden später erhob und langsam davonschwebte.
Farenda sah hinter ihm her, bis er hinter den Baumwipfeln verschwand. Dann setzte er sich wieder neben seinen alten Freund. Er seufzte. Die Wärme des Feuers tat gut, und er fror, obwohl die Sonne hoch am Himmel stand und es warm war. Der Kreis hatte sich geschlossen.
7.
Sie holten die letzten
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