0462 - Der Witwenmacher von New York
dieser kühlen, bürokratischen Floskel verbargen sich Schicksale wie das des G-man Pete O’Connor, den man mit sechzehn Messerstichen aus der Bucht von San Franzisko fischte, das Schicksal des G-man William Anderson, der mit drei Kugeln im Leib auf einem Highway hinter Chicago starb, und viele andere Namen, die alle auf der großen Bronzetafel in Washington stehen. Ein neuer Name war jetzt dazugekommen: Bertie Price.
Ich blickte Mr. High an. Er verstand mich auch ohne Worte.
»Nein, Jerry. Das ist Phils Fall. Sie haben genug damit zu tun, Ihre Unterweltsrolle zu spielen. Phil wird den Sondereinsatz leiten.«
»Okay, Sie wissen, wie Sie mich erreichen können. Ich komme sofort.«
»Ich weiß«, sagte Mr. High nur. Er drehte sich langsam zum Fenster um. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, wie es jetzt in ihm aussah.
Mr. High fühlte sich als Vater der G-men, die ihm unterstellt waren. Er hatte heute einen Sohn verloren.
Leise verließ ich das Zimmer.
***
Ich fuhr zu einer kleinen Wohnung, die Mr. High für die Dauer dieses Falles für mich reserviert hatte.
Für eine Weile stand ich fassungslos staunend vor dem Spiegel. Die Experten unseres Distrikts hatten wirklich eine ganze Menge mit mir aufgestellt.
Mein Gesicht wirkte breiter als sonst, ein Walroßbart zuckte bei jedem Atemzug um meine Oberlippe traurig auf und ab.
Mr. High hielt diese Verkleidung für absolut notwendig. Ich hatte zwei Rollen zu spielen. Einmal war ich der Ruf-I'ioso-Erbe mit »natürlichem« Aussehen, ein anderes Mal war ich der G-man Jerry Cotton mit dem frischen Teint eines fünfzigjährigen Bierfahrers.
Ich brauchte immer nur Sekunden, um meine Maske zu ändern. Das war das praktische an der ganzen Sache. In jeder Situation konnte ich dadurch meiner Umwelt stets den richtigen Mann anbieten.
Nachdenklich wog ich die Gummipfropfen, die mein Gesicht so entstellten, in der Hand ab.
Würde diese Maskerade ausreichend sein, um meine Rolle durchstehen zu können?
Ich wußte es nicht. Ich wußte nur, daß wir es auf diesem Weg schaffen konnten. Es war der einzige Weg.
***
In der 17. Straße ging der Patrolman Tim Cook seine gewohnte Streife. Er trug seine übliche Uniform, und die Knöpfe der Jacke schillerten im fahlen Licht des frühen Morgens.
Cook war dreiunddreißig Jahre alt, verheiratet und seit neun Jahren Polizist. Auf seinem blanken Dienstabzeichen stand die Nummer 3289. In seinen Personalakten gab es nichts Nachteiliges, aber zwei lobende Erwähnungen und eine Fotokopie der Urkunde, mit der ihm vor zwei Jahren die Rettungsmedaille verliehen worden war. Damals hatte der Patrolman Tim C.ook aus einem lichterloh brennenden Lagerschuppen am Hudson unter Lebensgefahr zwei von den Flammen eingeschlossene Kinder gerettet.
Wie jeder Cop, der jahrelang in seinem Revier Dienst tut, kannte Cook die meisten Leute, die in seinem Streifenrevier wohnten.
An einer Kreuzung fischte er den alten Pat Whisby auf. Er hatte wieder einmal fürchterlich geladen. Cook brachte ihn nach Hause, schloß ihm die Haustür auf und sorgte dafür, daß er sicher ins Bett kam. Seit zwei Jahren ging das schon so jeden Morgen, wenn Cook Nachtdienst versah.
Whisby hatte seine Frau bei einem Autounfall verloren. Seit der Zeit trank er. Cook hoffte immer noch, daß sich der alte Mann einmal wieder fangen würde.
Langsam setzte er seinen Streifengang fort. Er räumte zwei Mülltonnen beiseite, die bestimmt Halbwüchsige an den Rand der Fahrbahn gestellt hatten, und verharrte plötzlich lauschend.
Leises Schluchzen drang an sein Ohr. Er ging auf das Haus Nummer 317 zu. Es war der große Wohnblock, in dem die Angestellten der Riverside-Bank wohnten.
Als Cook in den Hausflur trat, sah er Mrs. Fennimore. Er kannte die Frau lange. Aber er hatte sie noch nicht weinen sehen.
»Ist etwas passiert, Mrs. Fennimore?« fragte Cook und legte seine riesige Pranke behutsam auf die Schulter der Frau.
Sie sah ihn mit ihren tränengeröteten Augen an. Trauer, Ungewißheit, Angst und Sorge stand in ihnen.
»Mac ist nicht nach Hause gekommen«, schluchzte sie.
Cook versuchte zu lachen. Er wollte die Frau beruhigen.
»Wahrscheinlich ist er irgendwo aufgehalten worden. Kommt bei jedem Mann einmal vor«, sagte er gemütlich. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde auf dem Revier einmal nachprüfen, ob etwas vorliegt. Bestimmt hat er nur ein paar alte Freunde getroffen und zu tief ins Glas geschaut. Legen Sie sich ruhig schlafen. Wenn irgend etwas ist, rufe ich Sie
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