0462 - Der Witwenmacher von New York
aneinanderzurücken. Auch der Verkehr in den Straßen nahm wieder halbwegs überschaubare Ausmaße an.
In der östlichen 69. Straße hatten alle Büros geschlossen. Nur im Gebäude, das die Hausnummer 201 trug, herrschte noch reges Leben. Fernschreiber klingelten, Telefone rasselten, Schreibmaschinen klapperten, und Leute eilten durch die langgestreckten Korridore.
Im FBI-Distriktgebäude arbeitete man auf Hochtouren. Man jagte einen Mörder, der einen G-man und einen Senator getötet hatte. Alle kannten nur ein Ziel: Den Täter vor Gericht zu bringen.
Nur ich durfte nicht mitmachen. Ich war ausgeschlossen. Ich hatte, meine Aufgabe.
Ich spürte den Paß in meiner Tasche und schritt durch das abendliche New York. Der Paß war nicht auf meinen Namen ausgestellt, sondern gehörte einem gewissen Enrico Ruffioso. Ich hatte seine Rolle übernommen und fühlte mich so, wie er es vielleicht auch verspürt hätte.
Fröstelnd trat ich in eine Bar. Sie lag an der Bowery, war schmutzig und hatte einen zweifelhaften Ruf.
Der Barkeeper hieß Dorani. Enrico hatte mir von ihm erzählt. Nicht nur das von Dorani, sondern viele Einzelheiten, die man über die Mafia wissen mußte, um sie zu zerstören.
Aber ich brauchte Beweise. Vermutungen nutzen uns nichts. Wir müssen hieb- und stichfeste Argumente Vorbringen. Deswegen spielte ich die Rolle eines Mörders, der gekommen war, um den Tod seines Vaters zu rächen.
Das Barmädchen war jung, hatte alte Augen und wirkte gelangweilt. Sie schob sich näher an mich heran und setzte ihr berufsmäßiges Lächeln auf.
»Einen Drink?« fragte sie mit weicher Stimme. Ich warf ein Dollarstück auf die Theke.
Schweigend musterte sie mich. Sie suchte irgend etwas in meinem Gesicht und erkannte es plötzlich. Ihre Augen flackerten, das Rouge auf ihren Wangen wirkte wie eine abgeschminkte Maske.
»Du bist…« keuchte sie und rückte langsam von mir ab.
»Ich bin neu hier in dieser Stadt«, sagte ich ruhig. »Sehr neu hier. Bin heute angekommen. Habe erst einen Tag im großen Teich geschwommen. Das gefällt mir nicht.«
»Ja«, sagte sie. Die Angst packte sie mit langen Krallen. Sie griff hastig nach ihrer Handtasche und lief aus der Kneipe.
»Wer war das?« fragte ich Dorani.
»Millie Jones. Sie ist arbeitslos. Vor ein paar Tagen ging es ihr noch besser. Da lebte der alte Ruffioso noch. Jetzt hat sie keinen mehr, der ihr die Miete bezahlt.«
Ich verstand. Mit einem Male fiel mir auch ihr Name ein. Ja, Enrico hatte ihn erwähnt. Sie war die Freundin seines Vaters gewesen.
Ich bezahlte meine Rechnung und schlenderte weiter. Der Regen trieb mich in den Schatten der Häuser. Mit einem Male stand ich vor einem Wolkenkratzer. Es war schon Nacht, aber im dritten Stock des Gebäudes brannte noch Licht.
Ich wußte, wer dort wohnte. Rybacki, Staranwalt der Unterwelt. Er war Testamentsvollstrecker des Mafia-Bosses.
Ich brauchte nicht lange zu überlegen. Irgendwann mußte ich doch einmal den Stier bei den Hörnern fassen.
Der Aufzug brachte mich fast geräuschlos bis in den dritten Stock. Über einen knöcheltiefen Teppich marschierte ich auf die Praxis Rybackis los.
Ich klopfte kurz an und öffnete dann die Glastür. Das Girl am Empfang hob verwundert den Kopf.
»Was wollen Sie?« fragte sie kühl.
Ich segelte meinen Hut zum Haken und baute mich vor ihr auf. Höflich konnte ich nicht sein, schließlich spielte ich die Rolle eines Gangsters.
»Rybacki!«
»M i s t e r Rybacki ist heute nicht mehr zu sprechen. Ich notiere einen Termin für Sie in der nächsten Woche. Wir haben schrecklich viel zu tun.«
»Ist er da drin?« knurrte ich und deutete mit dem Daumen auf eine gepolsterte'Tür.
»Er ist nicht zu sprechen«, sagte sie noch einmal. Sie schrie es fast.
Die Polstertür öffnete sich plötzlich, und Rybackis feiste Gestalt stand im Rahmen. Seine Schweinsäuglein hüpften nervös, als er mich sah, seine Lippen kauten ruhelos an einer kalten Brasilzigarre.
»Wer sind Sie?« fragt er mich.
Langsam ging ich auf ihn zu. Meine Augen suchten die seinen.
Knapp einen Yard vor ihm blieb ich stehen. Ich konnte seinen Atem spüren, und der Whiskyduft stieg mir in die Nase.
»Weißt du das wirklich nicht, Rybacki?« fragte ich. Das Erkennen stand in seinen Augen. Er nickte kurz.
»Kommen Sie bitte in mein Zimmer, Mr. Ruffioso«, forderte er mich auf.
Ich schenkte dem erschreckt zusammenfahrenden Girl an der Schreibmaschine noch einen tröstenden Blick und marschierte hinter ihm her in den
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