0462 - Wo der Orlock haust
bekommen.
Er lag auf dem Rücken. Mit zwei Fingern war er dabei, durch sein Gesicht zu wischen. Und was er da von der Wange putzte, sah klebrig und dunkel aus.
Eben wie Blut…
Suko und ich knieten uns nieder. Unsere Blicke glitten über das Gesicht des Jungen. Wir sahen in dessen Augen den verstörten Ausdruck und suchten nach einer Verletzung in seinem Gesicht.
Die fanden wir nicht.
»Woher kommt das Blut?« fragte Suko.
Robby hatte unsere Frage gehört. »Der Orlock!« flüsterte er. »Der… der Orlock hat geblutet …«
»Er ist eine Puppe!« rief ich.
»Trotzdem.«
»Das sehen wir uns an.«
»He, was ist hier los?« Kirk hatte die Gruppe erreicht und bahnte sich rücksichtslos einen Weg. Auch Suko wollte er einfach zur Seite drängen, doch der Inspektor stand wie ein Fels.
»Willst du was?«
Kirk schaute ihn an. »Hau ab, du Pfeifengesicht!« Er holte schon aus, um Suko zur Seite zu schleudern, aber mein Freund war schneller. Die gegen Kirks Brust gestoßene flache Hand brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Wie ein Brett fiel er um.
»Noch jemand?« fragte mein Freund, denn Kirk war mit Verstärkung gekommen.
»Nein, nein«, sagte ein schwarzhaariges Mädchen. »Er war bereits zu betrunken.«
»Das habe ich gesehen.«
Ich hatte mich um die Dinge nicht gekümmert und war den kurzen Weg hoch zum Pfahl gelaufen. Dicht vor der Holzfigur blieb ich stehen. Mich interessierte besonders das Gesicht, weil der Junge dort herumgeschnitzt haben mußte.
Das Messer hatte im Holz eine tiefe Wunde hinterlassen. Ein schräg angesetzter Riß, aus dem tatsächlich etwas hervorgedrungen war. Die rote Flüssigkeit.
Sie bedeckte die untere Hälfte des hölzernen Gesichts. Dort war sie zu einem Muster verlaufen, das auch noch in mehreren Fäden am Hals entlangrann, bis es von der Kleidung aufgesaugt worden war.
Blut war aus einer Holzfigur gelaufen! Wie konnte das geschehen? Was steckte dahinter?
War die Figur vielleicht mit Blut gefüllt gewesen? Ich hatte keine Ahnung, jedenfalls ging es nicht mit rechten Dingen zu. Dieser am Pfahl gefesselte Gegenstand war etwas Besonderes, vielleicht sogar magisch beeinflußt, und zwar durch Schwarze Magie.
Ich setzte ihr eine andere dagegen.
Gelassen streifte ich die Kette über den Kopf. An ihr hing das Silberkreuz, das ich einen Augenblick später hart gegen die Brust der Figur drückte.
Wäre es sehr still gewesen, hätte ich das zischende Stöhnen sicherlich deutlicher vernommen. So aber ging das Geräusch im Stimmenwirrwarr und den fauchenden Flammen ein wenig unter.
Trotzdem wollte ich nicht an eine Täuschung glauben.
Und die Holzfigur veränderte sich. Der Orlock begann leise zu knistern. Gleichzeitig sah ich den Rauch aus der Mundöffnung strömen. Ich trat schnell zurück und hatte gut daran getan, weil einen Moment später Flammen aus dem Kopf fuhren wie eine gewaltige Lohe und auch die Haare in Brand steckten.
Die Figur flammte ab!
Ich schaute zu und hörte in meinem Rücken die aufgeregten Rufe der Kinder und Jugendlichen. Ihr Fest hatte anders geendet, als sie es sich vorstellten und es in den letzten Jahren gewesen war.
Ich drehte mich wieder um und sah Suko, abwartend auf den brennenden Orlock und den ebenfalls von den Flammen erfaßten Pfahl schauend. Ein paarmal nickte er, als hätte er mit den Dingen gerechnet.
»Dein Gefühl, John, nicht wahr?«
»Ja, und das leere Grab.«
»Meinst du, daß es die Figur gewesen ist, die darin gelegen hat?«
»Nein.«
»Aber sie lebte.«
»Sicherlich. Sie ist geschnitzt worden. Bestimmt nicht von den Kindern. Wir werden uns mit dem Schnitzer in Verbindung setzen müssen. Vielleicht weiß er mehr.«
»Jedenfalls gibt es Arbeit für uns. Ich rechne sogar mit einem neuen Fall.«
»Das ist er sowieso.«
»Ich meine es anders, John. Möglicherweise gibt es zwischen dem Professor und diesem Orlock keine Verbindung, obwohl der Schänder mal auf dem Schloß da oben gehaust hat.«
»Das bekommen wir noch heraus.« Ich war ziemlich optimistisch und schaute zu, wie die Puppe allmählich zu Asche wurde.
Wir wandten uns ab.
Keiner war gegangen. Der mit Blut bespritzte Junge hatte sich mittlerweile wieder einigermaßen gesäubert. Ihn wollten wir uns vornehmen, aber wir wurden abgelenkt, weil ein blondes Mädchen – ungefähr achtzehn Jahre alt – sich mit dem schwarzhaarigen Girl stritt.
»Ich habe es dir gesagt, Mara, mein Gefühl.«
»Ach komm, das ist Zufall.«
»Nein, ich weiß es genau. Orlock ist mehr als
Weitere Kostenlose Bücher