0462 - Wo der Orlock haust
Haarspitzen daran entlangschabte.
Fremde Gedanken hatte ich praktisch verbannt. Mein gesamtes Sinnen und Trachten war auf ein Ziel ausgerichtet, das ich erreichen würde, denn mit der linken ausgestreckten Hand erreichte ich schon fast die Ecke der Fensternische.
Um einige Zentimeter bewegte ich mich noch vor, faßte um die Ecke -und atmete zum erstenmal auf.
Der Rest war praktisch ein Kinderspiel, obwohl ich auch da sehr vorsichtig zu Werke ging.
Ob sich jemand im Zimmer aufhielt, konnte ich nicht erkennen.
Hinter der Scheibe war es dunkel. Sehr schwach zeichneten sich die Umrisse der Möbel ab.
Ich hockte wie eine sprungbereite Katze auf der äußeren Fensterbank, die glücklicherweise breit genug war, um mir den entsprechenden Platz zu bieten. Auch ein etwas heftigerer Windstoß würde mich nicht von der Bank pusten können.
»Ist alles in Ordnung?« fragte Suko.
»Bis jetzt ja.«
»Soll ich kommen?«
»Nein, Suko. Ich werde die Scheibe einschlagen und das Fenster öffnen. Möglicherweise ist dieses Zimmer nicht verschlossen. Ich gehe dann raus und versuche, das Zeug aus dem Türschloß zu puhlen.«
»Einverstanden!«
Die Scheibe wollte ich natürlich nicht mit der Faust einschlagen.
Die Beretta eignete sich für diese Aktion hervorragend. Ich hatte sie bereits gezogen und suchte nach der idealen Sitzposition.
Dabei glitt mein Blick den Weg zurück, den ich genommen hatte.
Er sah mir noch immer gefährlich aus. Suko befand sich nach wie vor am Fenster und sah schräg in die Tiefe.
Auf einmal hatte ich das Gefühl, mein Blut wäre zu Eis geworden.
Es war wirklich mehr ein Zufall, daß ich über Suko hinweg zum Dachrand hochgeschaut hatte.
Dicht vor einer Gaube hockte eine Gestalt. Schwarz und unheimlich.
Aus den Händen der Gestalt löste sich etwas und pendelte nach unten.
Es war ein Seil!
Nur wunderte ich mich darüber, daß es im unteren Viertel an verschiedenen Stellen so glänzte und aussah wie ein mit Messerklingen geschmückter Christbaum.
Die Klingen, das war es!
Das Seil brauchte nur in die entsprechende Richtung bewegt zu werden, und die Klingen hakten sich in Sukos Gesicht fest, um es zu zerstören.
Und schon schwang es dicht über dem Kopf, des ahnungslosen Chinesen zum Pendelschlag vor…
***
Alexandra Dalton schrie noch immer! Dabei bewegte sie sich nicht und stand steif wie eine Puppe auf dem Fleck. Sie hatte die alte Leiche fest umklammert, starrte an ihrem blanken Schädel vorbei in die Nischen, wo auch die Fackel leuchtete.
Das Licht tanzte und zuckte. Schatten und rötliche Helligkeit fielen über die beiden Gestalten und gaben ihnen ein noch monsterhafteres Aussehen.
»Alex…!« Mara schrie so laut sie konnte. Ihre Freundin sollte endlich zur Besinnung kommen, doch das Grauen bannte sie auf dem Fleck.
Allmählich erstickte das Schreien. Nur mehr schluchzende Laute drangen aus dem Mund des jungen Mädchens. Ihre Gedanken begannen wieder zu arbeiten, und plötzlich wurde ihr bewußt, was sie da noch immer mit beiden Händen festhielt.
Durch ihren Körper lief ein heftiges Zucken. Dann drückte sie die alte Leiche weg, schleuderte sie vor die Wand rechts neben die Nische, hörte das Kancken der Knochen und sah, wie die Gestalt zusammenfiel und neben ihr liegenblieb.
Alex wankte zurück. Sie lehnt sich gegen die Stollenwand. Tränen liefen über ihr Gesicht, erst jetzt folgte der Schock. Sie hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, und auch Mara wußte nicht, was sie noch alles tun sollte.
Alles war so schrecklich, so alptraumhaft, aber es war leider kein Traum. Die Leiche war aus der Nische gefallen. Wieso? Wer war diese furchtbare Gestalt, die schon vor langer Zeit aus dem Leben geschieden war?
Durch Orlocks Hand?
Ja, der Orlock hatte die Mädchen geholt. Ihre Leichen waren nie gefunden worden. Man wußte nicht einmal genau, wie viele tote Mädchen es gegeben hatte.
Eines davon hatte sie gesehen.
Mara mußte einfach weitergehen, wenn sie dieser unheimlichen Gegend entfliehen wollte. Auch konnte sie Alex nicht im Stich lassen. Beide würden sie all ihre Kräfte gebrauchen müssen, um ins Freie zu gelangen. Den Luftzug hatten sie ja schon bemerkt.
Es kostete sie Überwindung, auf Alex zuzugehen. Dabei stieg sie auch über den Knochenhaufen der Toten. Dann stand Mara neben ihrer Freundin, berührte sie, doch Alex zuckte nicht einmal zusammen. Sie hatte sie nicht bemerkt und starrte ins Leere.
»Komm endlich, komm…!«
Alex drehte den Kopf wie ein Roboter. Sie
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