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0462 - Wo der Orlock haust

0462 - Wo der Orlock haust

Titel: 0462 - Wo der Orlock haust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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ja.« Robby sprach mit einer kratzigen Stimme. Langsam hob er den rechten Arm.
    Die Klinge des Schnitzmessers schien aus seiner Faust zu wachsen. Er drehte die Hand etwas, um die Schneide schräg anzusetzen. Das Holz war weich und setzte dem Messer wenig Widerstand entgegen.
    Weshalb zitterte er so plötzlich? War es die Angst vor der eigenen Courage?
    Sogar das Atmen bereitete ihm Schwierigkeiten. Er zitterte auch in den Knien, aber hinter sich hörte er die lauten Stimmen der übrigen Kinder.
    »Los, Robby, du mußt es tun! Denk daran, es wäre Halloween…«
    »Dreht euch nicht um, denn der Orlock geht herum…« Die dünne Stimme eines singenden Mädchens erreichte kaum die Ohren des vor dem Pfahl stehenden Robby.
    Aber sie wirkte wie eine Initialzündung, und Robby überwand sich. Er stieß zu.
    Das ging alles leichter, als er gedacht hatte.
    Und dann passierte es.
    Die Holzpuppe hing noch in der Fesselung. Robby drehte die Klinge, als er plötzlich etwas in der Wunde aufquellen sah, das ihm einen Moment später als dunkler Strahl entgegenspritzte und sein Gesicht traf.
    Der Junge wurde so überrascht, daß er nicht einmal aufschrie, aber zurückging, stolperte, zu Boden fiel und sich überschlagend den Hang hinabrollte.
    »Robby, was ist denn?« schrie jemand.
    Er hörte nicht. Dicht vor den Füßen der anderen Kinder blieb er liegen, rollte sich auf den Rücken und starrte mit verzerrtem Gesicht und großen Augen in die auf ihn niederschauenden, gespensterhaft wirkenden Gesichter.
    Sie alle, die ihn anstarrten, waren entsetzt, als hätte er die Pest.
    »Iiihhh, Robby, was hast du denn?«
    Er hörte nicht einmal, wer ihn da gefragt hatte. Aber er hob den Arm und tastete nach seinem Gesicht, wo die Flüssigkeit an beiden Wangen klebte.
    Zwei dicht zusammengelegte Finger zog er durch die Flüssigkeit und schaute nach.
    Es war Blut…
    ***
    Suko und ich hatten uns im Hintergrund aufgehalten. Der Rover stand am Eingang des Dorfes. Wir waren den Rest des Weges zu Fuß gegangen. Zum Glück brannte das Feuer. Die Flammen leuchteten mit der roten Glut meiner Zigarette um die Wette.
    »Versprichst du dir etwas davon, hier als Zuschauer zu stehen?« fragte Suko.
    »Ja.«
    »Und was?«
    »Ich interessiere mich eben für alte Bräuche. Besonders dann, wenn sie mit einer Figur wie dem Orlock zusammenhängen.«
    »Du hast einen Verdacht?«
    »Nein, höchstens ein Gefühl.«
    »Und was sagt dir das?«
    »Darüber denke ich noch immer nach. Ich erinnere mich an das leere Grab. Dann stürzte dieser komische Bau ein. Suko, das können keine Zufälle sein. Das sind Dinge, die einfach dazugehören. Meinetwegen auch böse Zeichen oder Omen. Ich weiß es nicht genau.«
    »All right, warten wir ab.«
    Das taten wir auch, denn die Kinder hatten zu tun. Sie banden die Puppe an den im Boden steckenden Pfahl und waren mit Feuereifer bei der Sache.
    In fast allen Dörfern des Landes gab es ähnliche Bräuche. Wenn die Jahreszeiten wechselten, gedachte man stärker der alten Zeiten und daran, was die Menschen früher getan hatten. Die Bräuche blieben nicht einmal auf eine Region beschränkt. Ob auf der Insel oder im übrigen Europa, überall feierte man die Ankunft des Herbstes oder des Winters. Umgekehrt war es ebenso, wenn nach schneereichen und kalten Monaten die Menschen den Frühling herbeisehnten.
    Einer aus der Dorfjugend war auserwählt worden, um die Puppe zu vernichten.
    Als der Orlock damals starb, muß es für die Menschen wie eine Erlösung gewesen sein, und sie war in den Jahren auch nicht kleiner geworden, so daß der alte Brauch noch immer hochgehalten wurde.
    Aber der Junge zögerte. Selbst uns fiel es auf.
    Ich warf meine Zigarette weg und trat die Glut aus. »Das gefällt mir nicht«, sagte ich.
    »Wieso?«
    »Schau dir mal den Jungen an. Der steht allein vor der Holzfigur und sieht aus, als würde er sich vor Angst in die Hosen machen. Wie kann man vor einer Figur diese Angst haben?«
    »Vielleicht ist es nicht nur eine Figur«, antwortete Suko.
    »Meinst du, daß…?«
    »Ich rechne mit allem, John.«
    »Nun ja, wir…«
    Ich sprach nicht mehr weiter, denn der Junge kippte plötzlich zurück. Den Grund hatte ich nicht erkennen können, vielleicht ein Fehltritt. Er rollte den flachen Hang hinab und blieb dort liegen, wo auch die anderen standen.
    »Hin!«
    Wir waren sehr schnell, hörten das laute »Iiiihhh« einer Mädchenstimme und mußten andere Kinder zur Seite drücken, um einen freien Blick auf den Jungen zu

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