047 - Der Schlitzer aus dem Jenseits
zwingen, zu erscheinen. Es läge
allein an ihr, ob sie wolle oder nicht. Scheinbar - so Esmail wörtlich - sei
sie wenig interessiert daran. Er kenne allerdings den Grund nicht. Der Versuch
über ein Medium sei empfehlenswert. Es käme darauf an, wie viel Kraft Madame
Czeskov einzusetzen bereit wäre, eine Materialisation vorzunehmen. Er sieht die
Chancen im Moment schlecht. Und immer wieder erwähnt er den Vorfall - etwas,
das eine Barriere niedergerissen habe. Ich habe ihn gebeten, deutlicher zu
werden. Aber entweder will er diese Frage nicht beantworten oder ich verstehe
nicht, was er damit sagen will.“
Ratlosigkeit
stand in dem kleinen, verschrumpelten Gesicht von Miß Hurst zu lesen.
Sie wollte
offensichtlich noch etwas sagen, aber dazu kam sie nicht mehr. Ein Ereignis
trat plötzlich ein. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel meldete sich Esmail
wieder.
Miß Hursts
Hand raste. Es war unvorstellbar, daß ein Mensch so schnell schreiben konnte.
Dieses Phänomen gab Linda Davon zu denken, und zum erstenmal seit ihrer Ankunft
in diesem Raum war sie geneigt zu glauben, daß etwas nicht mit rechten Dingen
zuging.
Schweiß perlte
auf der faltigen Stirn der alten Dame. Dann sank sie erschöpft nach vorn. Wie
von einer Tarantel gestochen, sprang Horace Winter von seinem Stuhl auf, mit
einer Schnelligkeit, die man seinem plumpen Körper gar nicht zugetraut hätte.
„Miß Hurst?“
Er kam um den Stuhl herum. Winters Stimme klang besorgt.
Die alte Dame
atmete kurz und schnell. Hände griffen nach ihr. Winter richtete sie auf. Miß
Hurst flüsterte etwas. Sie war restlos erschöpft.
Mit Hilfe von
zwei Zirkelmitgliedern brachte man die alte Dame auf ein in der Ecke stehendes
Sofa, wo sie sich ausruhen konnte.
„Es ist alles
- gleich wieder - gut“, lächelte sie. Ihre Augen glänzten wie im Fieber. „Lesen
Sie vor, Winter - ich kann nicht. Es war - alles so plötzlich - ich möchte gern
wissen - was er mir mitgeteilt hat…“
Winter griff
nach dem Bogen. Die Miene des Zirkelleiters wurde ernst. „Miß Caroline kündet
sich an“, kam es schwer über seine Lippen.
Die Mitteilung
riß Frank Hunter in die Höhe.
„Esmail
entschuldigt sich für den plötzlichen Wechsel“, fuhr Horace Winter unbeirrt
fort. „Miß Caroline sei ganz plötzlich aufgetaucht.“
Winter drehte
sich um. Das Tonbandgerät lief die ganze Zeit schon und hatte jedes Wort, das
während der Seance gesprochen worden war, aufgenommen. Während eine der
Teilnehmerinnen auf dem Sofarand neben Miß Hurst saß, nahm Winter das Mikrofon
zur Hand und schaltete das Psychophon ein.
Über dieses
Gerät, so behauptete Winter, sei es möglich, mit Verstorbenen im Jenseits zu
sprechen. Die Stimme des Betreffenden würde von dem Psychophon empfangen und
von dem daran gekoppelten Tonbandgerät aufgenommen.
Die Erregung
der Menschen, die hier auf engstem Raum versammelt waren, nahm zu. Und diese
Erregung sprang wie ein elektrischer Funke auf Linda Davon über.
„Fragen Sie,
ob sie mit mir sprechen will und ob sie wirklich gekommen ist? Sie soll sich
melden!“ Frank Hunter vergaß seine Umgebung. Er warf nicht einen einzigen Blick
zu Linda hinüber. Seine Blicke hingen gebannt an dem Mikrofon, in das Winter
nun sprach.
„Ihr Bruder
ist hier, Caroline. Er will Sie sprechen. Sind Sie dazu imstande?“
Winter
schwieg. Nur das Surren des Tonbandgerätes war zu hören. Sonst war es
mucksmäuschenstill. Man konnte eine Stecknadel fallen hören.
Linda Davon
preßte die Lippen zusammen und biß sich so fest, daß die Abdrücke ihrer Zähne
zu sehen waren.
Den ganzen
Vorfall konnte man als eine Art dramatischer Wende bezeichnen. Was war
geschehen, daß Caroline nun doch auftauchte, nachdem Esmail angeblich einen
Kontakt mit ihr so gut wie für ausgeschlossen hielt?
Die Spannung
in dem nur durch eine Kerze erleuchteten Raum wuchs ins Unerträgliche.
Winter hatte
seine Erfahrung mit dem Psychophon. Er ließ zwei volle Minuten verstreichen,
ehe er weitersprach und Wort für Wort die Fragen wiederholte, die Frank Hunter
an seine Schwester richtete.
Dann kam der
große Augenblick. Winter spulte das Band zurück und schaltete den Verstärker
ein.
Die Anwesenden
wurden noch mal Zeuge der Botschaften, die Esmail Miß Hurst übermittelt hatte.
Dann ertönte die ölige Stimme Mister Winters aus dem Lautsprecher. Die Fragen
an Caroline!
Linda hielt
den Atem an. Plötzlich hörte sie einen leisen Aufschrei. Im ersten Moment war
sie der Überzeugung, daß dieser
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