047 - Die letzten Tage von Riverside
AIRLINES mehr dazu bewegen, einen Gottesdienst zu besuchen.
Auch Eve schüttelte massenhaft Hände. Simon staunte einmal mehr darüber, wie viele Menschen sie mit Vornamen ansprachen; Leute, die er nie zuvor gesehen hatte. Eve - fünf Jahre jünger als er - hatte bis zum letzten Jahr noch in ihrem Job als Immobilienmaklerin gearbeitet. Er dagegen hatte bis zu seiner Pensionierung vor drei Jahren mehr Zeit in, der Luft und auf den Flughäfen der Vereinigten Staaten verbracht als zu Hause. Sein Bekanntenkreis in Riverside beschränkte sich auf Nachbarn und alte Freunde.
Colin tauchte neben ihm auf. Einer der Wenigen, die hier strahlten. Der Stolz auf sein Töchterchen machte ihn noch um eine Handbreit größer, als er sowieso schon war.
Verstohlen drückte er Simon die Hand. »Und?«
»Es war fantastisch, wirklich, Colin, ganz fantastisch.« Simon meinte es so, wie er es sagte. »Deine Tochter…«
... kommt einmal ganz groß raus, wollte er sagen, schluckte es aber im letzten Moment hinunter.
»… ist ein Prachtstück.«
»Das will ich meinen«, strahlte Colin. »Ganz der Vater.« Gelächter von allen Seiten. Etwas zu laut nach Simons Geschmack. Als wären die Leute froh, einen Grund zum Lachen zu haben.
Selten genug, dass man Leute lachen hörte in diesen Wochen.
Auch während der Aufführung hatte es Grund zum Lachen gegeben. Kathleens Stück handelte von einer Großfamilie, vor deren Haustür plötzlich ein Ungetüm stand. Es drohte jeden durch seinem Atem zu Eis erstarren zu lassen, der sich seinen Befehlen widersetzte.
Dann nistete es sich im Haus ein, fraß die Vorratskammern und Kühltruhen leer, brachte die Familienmitglieder gegeneinander auf und schikanierte alle durch unsinnige Befehle. Das jüngste Kind jedoch war neugierig statt ängstlich und entlarvte die Drohung des Ungeheuers als Bluff. Dadurch verlor die Familie die Angst und verbündete sich gegen das Monster.
Der Reverend hatte das Stück in eine Art Jugendgottesdienst am Spätnachmittag integriert. Und als Anlass zu einer Trostpredigt im Hinblick auf das »Monster Christopher-Floyd« genutzt. Ein voller Erfolg, alles in allem. Viele Besucher der Kirche hatten nur noch Stehplätze gefunden.
Die eigentliche Christmette würde am späten Abend stattfinden. Sie stand nicht auf Simons Programm.
Er nahm Colin ein Stück beiseite. »Habt ihr Rudy und seine Gang geschnappt?«
Ein Schatten zog über Colins Miene.
Verdrossen schüttelte er den großen Schädel.
»Keine Spur von den Schwachköpfen.« Er sah sich um. »Nur für deine Ohren, Simon: Wir kommen kaum dazu, ernsthafte Ermittlungen anzustellen. Was glaubst du, mit wie vielen Messerstechern, Amokläufern und Vergewaltigern wir uns Tag für Tag herumschlagen müssen?« Er wies auf die Menschenmasse, die sich vor der lutherischen Kirche versammelt hatte. »Hier merkst du nichts davon, aber schalte mal nach Sonnenuntergang den Polizeifunk ein. Es ist, als läge der Schatten des verfluchten Kometen schon über dem Land.«
Die Menge zerstreute sich, man ging nach Hause.
Es wurde rasch dunkel.
Colin, Gina und Kathleen luden zu einer Christmas-Party ein. Sämtliche Schauspieler, der lutherische Reverend, viele Nachbarn und auch sonst einige Bürger von Riverside fanden sich nach und nach im Haus der Ashtons ein.
So etwas hatte es an Weihnachten noch nie gegeben. Simon wunderte es nicht sonderlich.
Schließlich hatte es zu Weihnachten auch noch nie einen Kometen gegeben, der dieses Fest vermutlich zum letzten aller Weihnachtsfeste machte. Sowie der Stern von Bethlehem vor angeblich zweitausendelf Jahren das erste aller folgenden Weihnachtsfeste beleuchtet hatte.
Zweitausendelf - nicht viele Weihnachtsfeste unterm Strich, fand Simon Drax, als er eine Stunde später in seinen Keller hinunter stieg.
Und er versuchte sich vorzustellen, was die Leute zweitausendelf Jahre nach »Christopher-Floyd« feiern würden. Es gelang ihm nicht einmal, sich vorzustellen, dass es dann überhaupt noch Menschen geben würde, die feiern konnten.
Er balancierte einen Stapel Fotoalben die Treppe hinunter. Eve war drüben bei den Ashtons; alle waren drüben bei den Ashtons. Er war froh, ein Weilchen für sich allein sein zu können.
Der Safe stand mitten im Kellerraum, an der Stelle, an der Simon ihn ausgepackt hatte. Er war offen; die Weinflasche, die sie heute Morgen geleert hatten, lag darin. Simon ging vor ihm auf die Knie. Drei Fotoalben verstaute er im Tresor. Er hatte sie vorsichtshalber luftdicht
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