0470 - Die blutrote Nacht
die Sitzlehne nach hinten und stieß Zamorra an. »Leg doch noch zwei Hunderter drauf«, bat sie, »damit Senhor Sebastian uns vielleicht auch morgen und übermorgen auf Abruf zur Verfügung steht, und das Geld kann er sicher gut gebrauchen, um den Wagen ein wenig in Schuß zu bringen. Das Auto verdient's…«
Zamorra seufzte. Aber so, wie Nicole ihn mit treuherzigem Hundeblick ansah, konnte er ihr den Wunsch nicht abschlagen. »Ich dachte, du wolltest einkaufen und den Karneval genießen«, sagte er.
»Einkaufen? Ach so… ja…« Das hatte sie über ihrer Begeisterung für den großen Wagen fast schon wieder vergessen.
Paolo Sebastian strich die zusätzlichen Scheine ein. »Nennen Sie mich einfach Paolo«, bat er. »Sie sind wahrlich gute Menschen.«
»Au weia«, flüsterte Teri Rheken. »Geld regiert die Welt. Wenn du für etwas besonderes gut bezahlst, bist du besonders gut…«
Sie hatte französisch geflüstert, aber Paolo hatte es trotzdem verstanden und bewies, daß er sich auch mit Fremdsprachen ein wenig auskannte; in seinem Beruf eine Notwendigkeit. »Senhorita, Sie irren sich! Das Geld nehme ich gern, aber ich werde auch von weniger angenehmen Menschen für meine Dienste bezahlt, und viele, die ein gutes Herz haben, zeigen sich trotzdem von der geizigsten Seite…«
Die Druidin verzog das Gesicht und fühlte sich ertappt. »Komm jetzt bloß nicht auf den Gedanken, seine Gedanken lesen zu wollen«, warnte Zamorra sie leise auf russisch. »Das könnte er auch mitbekommen…«
Am Lenkrad verzog Paolo ein wenig das Gesicht. Russisch schien er nicht zu können. Teri Rheken seufzte nur.
Paolo lenkte den Wagen durch die verstopften Straßen der Stadt. Als Zamorra ihn darauf aufmerksam machte, daß er Umwege fuhr, lächelte der Fahrer nur. »Sie kennen den Stadtplan gut, Senhor Zamorra, nur scheinen Sie nicht zu wissen, daß während des Karnevals einige Straßen grundsätzlich gesperrt sind. Und zwar schon heute, weil Vorbereitungen für die Umzüge getroffen werden müssen. Ich bin gespannt, was daraus wird. Sie auch?« Dabei deutete er auf eine Plakatsäule am Straßenrand. Mit Portugiesisch kam Zamorra immerhin soweit zurecht, daß er den Text als Einladung zu einer Hochzeitsfeier entziffern konnte; danach war auf einem Karnevalswagen der Samba-Schule »Tradicao« während des Umzuges eine Trauung geplant. Ein gewisser Wellington Fritsch beabsichtigte seine zukünftige »bessere Hälfte« Cristina Guimaraes zu ehelichen und lud dazu alle Teilnehmer am Karneval ein.
Zamorra tippte sich an die Stirn. »Sind die verrückt, oder haben sie zuviel Geld? Das ließe sich bestimmt anderweitig besser anlegen!«
Paolo grinste in den Rückspiegel. »Die beiden haben an sechs Stellen in der Stadt plakatiert. Sie wollen ins Guiness-Buch der Rekorde - als Brautpaar mit der größten Zahl der geladenen Gäste. An die Samba-Schule haben sie dafür einen horrenden Betrag gezahlt.« Er nannte eine Summe; Zamorra rechnete kurz um und kam auf etwa 140.000 Francs. In Europa ein halbes Beamtenjahresgehalt; hier in Brasilien ein Vermögen.
Während sie sich durch den ständig vor dem Zusammenbruch stehenden Stadtverkehr voran stauten und froh waren, daß im Wagen eine Klimaanlage arbeitete und die Abgase draußen blieben, fiel Zamorra auf, daß Paolo ihn immer wieder via Rückspiegel nachdenklich betrachtete. Zamorras Amulett schien das Interesse des Fahrers geweckt zu haben. Wie üblich hatte der Parapsychologe die handtellergroße Silberscheibe mit den komplizierten Verzierungen am silbernen Kettchen vor der Brust hängen. Der Hitze wegen trug er das Hemd bis zum Nabel offen. In einer bretonischen Kleinstadt wäre er wesentlich zurückhaltender aufgetreten, aber in Rio störte sich niemand an auffallendem »Männerschmuck«. Nur eben Sebastian schien ein besonderes Interesse für die magische Scheibe zu entwickeln.
Zamorra beschloß, ihn bei passender Gelegenheit darauf anzusprechen.
Diese Gelegenheit ergab sich, als Zamorra seinen eigenen Einkauf hinter sich gebracht hatte und nunmehr über ein größeres Paket bequemer Freizeitkleidung inklusive eines leichten Leinenanzuges in seiner Lieblingsfarbe weiß verfügte, den er gleich anbehalten hatte. Er verstaute das Paket im riesigen Kofferraum des Ford Galaxie. »Da passen ja ganze Särge 'rein«, staunte er.
Sebastian schloß den Kofferraumdeckel wieder ab. »Hier klaut jeder alles«, bemerkte er auf Zamorras fragenden Blick; immerhin befanden sich beide Männer
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