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0470 - Die blutrote Nacht

0470 - Die blutrote Nacht

Titel: 0470 - Die blutrote Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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direkt am Wagen, während die beiden Damen die dem Parkplatz benachbarten Boutiquen stürmen und dabei unter sich sein wollten. »Hier stehlen sie dir die Radkappen und schrauben die Rücklichter ab, während du vor der Ampel stehst und auf grün wartest. Und wenn du zur Polizei gehst und den Diebstahl anzeigst, wirst du wegen falscher Anschuldigung vor Gericht gezogen, weil die organisierten Diebesbanden die unterbezahlte Polizei kräftig schmieren. Okay, es gibt auch ein paar ehrliche Polizisten, aber die machen hier nie Karriere.«
    Zamorra nickte. Das hier war nicht Europa. Hier sah alles ganz anders aus. Hier war Bestechung an der Tagesordnung…
    Und man konnte den Beamten ihre Bestechlichkeit nicht einmal verdenken. Sie bewegten sich im Graufeld zwischen hoffnungsloser Armut und den Superreichen. Sie wurden völlig unterbezahlt, hatten ständig mit dem Reichtum zu tun… und schielten natürlich mit beiden Augen danach, wenigstens etwas von dem Reichtum der Wenigen mitzubekommen.
    Wer das ändern wollte, der mußte ganz, ganz tief unten im Sumpf mit der Arbeit beginnen. Und das konnte er nur, wenn zuvor außerhalb Brasiliens eine Menge anders wurde. Die reichen Industriestaaten beuteten die »Billiglohnländer« und »Bananenstaaten« praktisch aus. Großzügige Kredite wurden gewährt - und allein die Zinsen vernichteten die Staaten, die leichtsinnig via Kredit nach dem lockenden hohen Luxus-Standard der alten und neuen Welt griffen. Hinzu kamen die Bemühungen der Landesherrscher, zunächst ihre Armeen aufzurüsten, ehe den Hungernden Brot gewährt wurde.
    Und das lief nicht nur in Südamerika so, sondern in allen »Entwicklungsländern«, denen diese Bezeichnung von den Industriestaaten aufgestempelt wurde, weil sie nicht deren Standard besaßen. Dabei hatte man bloß einäugig vergessen, daß in anderen Kulturen auch völlig andere Maßstäbe gewachsen waren, die mit den westlichen Standards nicht fertig wurden. Was hier mit Hängen und Würgen funktionierte, führte dort ins Chaos. Die Fehler waren in der Vergangenheit gemacht worden, in der Zeit des Kolonialismus, und man hatte versäumt, rechtzeitig die Bremse zu ziehen und die Vernunft einzuschalten - auf beiden Seiten des großen Entwicklungsgrabens.
    Aber Leuten wie Zamorra war es nicht möglich, etwas daran zu ändern. Sie konnten nur in Gesprächen auf die Mißstände hinweisen. Und hoffen, daß jene, die an den Schalthebeln saßen, diese auch mal bewegten. Nur würde der Versuch, die Mißstände in der Dritten Welt zu lindern, die »Zivilisierten« ebenfalls eine Menge ihres gehobenen Standards kosten. Und wer wollte schon verzichten?
    Manchmal fühlte Zamorra sich selbst wie ein ertappter Sünder, wenn er diese Probleme sah und gleichzeitig sein beträchtliches Vermögen bedachte. Château Montagne und die dazugehörigen Ländereien… allein die Pachtverträge sicherten ihm ein dauerhaftes gehobenes Einkommen, das ihm sein immerhin auch recht kostspieliges Hobby »Dämonenjagd« ermöglichte. Dabei war er selbst alles andere als ein Ausbeuter; mit seinen Pächtern kam er prachtvoll aus, und keiner konnte sich über Zamorra beklagen. Gegenseitige Hilfe war angesagt, und als vor ein paar Jahren Überschwemmungskatastrophen die Weinbauern an der Loire an den Rand des Ruins gebracht hatten, hatte Zamorra mit einer siebenstelligen Summe helfen können, wo Väterchen Staat sich hinter Formularen und Anträgen auf Anträge in vielfacher Ausfertigung mit Stempel hier und Beglaubigung dort und Unterschrift drüben versteckte. Aber nicht nur mit Geld half Zamorra aus, und deshalb war die Bindung an »seine« Leute einfach freundschaftlich intensiv; einer war für den anderen da. Immer.
    Vielleicht lag's daran, daß er die entsprechenden Absprachen und Verträge per Handschlag regelte, statt sie in seitenlangen Fußangel-Schriftstücken zu verschlüsseln.
    Er fragte sich oft, warum das nicht überall so sein konnte. Aber es lag wohl daran, daß ihm selbst reine Profitgier keinen Spaß bereitete.
    Gerade sah Sebastian wieder das Amulett an und riß Zamorra damit aus seinen Gedanken. Auch wenn er jetzt den neuen Anzug trug, stand das Hemd immer noch offen und präsentierte die Silberscheibe. »Paolo, der materielle Wert dieses Amuletts ist geringer, als Sie glauben, und…«
    »Um den geht's mir gar nicht«, wehrte Sebastian spontan ab. »Aber ein paar von den Zeichen kommen mir bekannt vor, und ich frage mich, weshalb Sie so was tragen, Senhor Zamorra.

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