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0473 - Botin des Unheils

0473 - Botin des Unheils

Titel: 0473 - Botin des Unheils Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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nicht…
    ***
    Marseille, 1972:
    Er war genau ihr Typ. Unter den südländischen Typen, von denen es hier wimmelte, fiel er durch seine hochgewachsene schlanke Gestalt, seinen dunkelblonden Haarschopf und vor allem durch seine hellen blauen Augen auf, die leuchteten, wenn er seinen Träumen nachhing; aber das registrierte Naomi Varese erst später, als sie ihn näher kennengelernt hatte.
    Aber was bedeutete schon »näher kennengelernt«?
    Sie hatte ihn gesehen, als er das Frachtschiff verließ, mit dem er gekommen war, die POINT D’INTERROGATION. - Fragezeichen und hinter dem ganzen Mann schien nur ein riesiges Fragezeichen zu stehen, das ihn für sie interessant machte. Der Mann faszinierte sie auf den ersten Blick.
    Sie verfolgte ihn.
    Sie sprach ihn an, und er erwies sich als freundlicher Plauderer. Er lud sie zu einem Kaffee ein, aber er wollte nicht mit ihr gehen, dabei sah sie an seinem Finger keinen Ehering, und er trug ihn auch nicht an einer Kette um den Hals wie manche Ehemänner, die nicht sofort als solche entlarvt werden wollten, sich aber nicht trauten, den Ring überhaupt nicht zu tragen.
    Da er sich ihr verweigerte, machte ihn für sie erst recht interessant. Vom anderen Ufer war er nicht; dafür hatte sie ein Gespür.
    Am dritten Tag bekam sie ihn in ihr Bett.
    Noch vor ein paar Jahren wäre das selbst in Frankreich unmöglich gewesen. Aber die 68er-Bewegung hatte viele strenge Sitten gelockert und es nicht mehr tolerierbar, sondern sogar interessant gemacht, daß Frauen die Initiative ergriffen und ganz offen versuchten, Männer zu verführen, statt es über einen Haufen Tricks und durch die Hintertür dem Herzensräuber begreiflich zu machen, auf welche Frau er sein Interesse gefälligst zu richten hat. Natürlich hätte sie sich auch ohne diesen sozialen Entwicklungsschock auf diesen Mann ihrer Träume gestürzt, nur hätte man dann selbst im liberalen Frankreich über sie den Kopf geschüttelt - wenn auch nur offiziell.
    Am vierten und am fünften Tag hatte sie ihn immer noch in ihrem Bett und war sicher, ihn mit dem gleichen Zauber gefangen zu haben, den er auf sie ausübte. Sie wußte von ihm nicht mehr, als daß er kein Matrose auf der POINT D’INTERROGATION gewesen war, sondern ein Reisender - obgleich es sich um ein Frachtschiff handelte. Am sechsten Tag allerdings hatte sie dann keine Chance mehr, ihn danach zu fragen, wer und was er war.
    Sie wurden geweckt - sie beide.
    Naomi Varese hatte ihre Wohnungstür immer gut verschlossen. Es war ein Schloß, in dem sie den Schlüssel gleich dreimal herumdrehen konnte und dessen Zunge deshalb auch dreimal so tief in die Schloßfalle ragte und entsprechend gut sperrte. Aber dieses Schloß war kein ernsthaftes Hindernis gewesen - es war nicht einmal berührt worden, wie Naomi später erschrocken feststellen mußte.
    Die Fremde war einfach da.
    Plötzlich stand sie mitten im Schlafzimmer.
    Es mußte allein ihre Anwesenheit sein, die Naomi weckte. Sie schreckte auf, griff nach dem Schalter der Nachttischlampe. Aber noch ehe sie ihn berühren konnte, flammte Licht auf. So grell, wie es kein elektrisches Licht jemals sein konnte, und zu grell für die Lampen, die sich in Naomis Schlafzimmer befanden.
    Nick, wie sich der blonde Hüne ihr vorgestellt hatte, ohne seinen Nachnamen zu nennen und ohne in Naomi das Bedürfnis zu wecken, ihn danach zu fragen, weil seine wundervollen Zärtlichkeiten wertvoller waren als das Stillen von Neugier, schreckte jetzt jedenfalls auf.
    »Cila«, stieß er hervor.
    Innerhalb weniger Sekunden veränderte sich seine Hautfarbe zu fahlem Grau. Er starrte die Frau an, die im Schlafzimmer stand und eindeutig nicht hierher gehörte.
    Naomi war nie ein Kind von Traurigkeit gewesen und hatte die Freizügigkeit herzlich begrüßt, die durch die 68er Szene über diesen Planeten gekommen war. Sie war vernarrt in Nick, aber sie hätte nicht einmal etwas dagegen gehabt, wenn jede Fremde jetzt zur Nummer 3 in ihrer Beziehung geworden wäre. Nicks Kraft war für eine einzige Frau fast zuviel, und diese Fremde, die plötzlich auftauchte, sah auch noch so gut aus, daß sie in Naomi geheime Kanäle öffnete.
    Aber die Fremde war an einem »flotten Dreier«, selbst in dauerhafter Beziehung, offenbar nicht interessiert.
    Sie sah Nick an.
    Langsam erhob er sich. Ein Adonis, eine Gottheit im hellenistischen Schönheitsideal. Naomi wünschte sich ein Gesetz, das derart gutaussehenden Männern mit solcher erotischen Ausstrahlung einfach bei

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