0476 - Kalis tödlicher Spiegel
unmittelbaren Sog der Maschine weg, bevor ich die Reißleine ziehen konnte.
... neun - zehn - elf...
So zählte ich im Geiste mit - und zog. Mit einer kurzen Verzögerung spürte ich den Ruck. Etwas flatterte knatternd über meinem Kopf auf, entfaltete sich zu einem Rechteck, dann bekam ich den Druck und den Gegenzug voll mit.
Irgend jemand schien sich an meine Arme gehängt zu haben, um mich zurückzuhalten. Ich atmete saugend, der Wind fiel mich an, schüttelte mich durch, spielte mit mir, trieb mich zunächst einmal ab.
Ich drehte den Kopf nach links und sah den großen Schatten in der Luft. Es war die führerlose Cessna, die weiterflog. Irgendwann würde sie ins Meer stürzen.
Hoffentlich hatten wir es da besser und landeten auf der Insel. Schräg unter mir schwebten Bill, Suko und Singal. Auch ihre Schirme hatten sich geöffnet. Rote Streifen liefen über die gelbe Fallschirmseide. Sie sahen aus wie Hosenträger.
Mandra Korab hatte es ebenfalls geschafft. Er hing rechts über mir. Als sich unsere Blicke trafen, hob er den rechten Arm und winkte mir zu. Es war alles in Ordnung. Er hatte es auch geschafft, den Proviantsack aus der Maschine zu schleudern. Der Fallschirm hatte sich automatisch geöffnet.
Da mit meinen Freunden alles klar war, konnte ich mich auf das Ziel konzentrieren. Wir waren günstig abgesprungen, so daß der Wind auf die Insel zutrieb.
Schaute ich schräg in die Tiefe, so nahm sie fast mein gesamtes Blickfeld ein. Sie besaß weiße Ränder, und zwar dort, wo die Brandung gegen die Felsen schäumte.
Da gischteten lange Schaumstreifen in die Höhe. Spritzwasser, leuchtete im Licht der Sonnenstrahlen - und natürlich der Spiegel. Der Fleck war nicht zu übersehen, doch er kam mir jetzt wesentlich kleiner vor, als aus dem Flugzeug betrachtet.
Konnte er sich größenmäßig verändern?
Wenn er sich beliebig ausdehnte, um seine magischen Kräfte zu entfalten, sah es ziemlich schlecht aus. Da besaß er mehr Macht, als ich angenommen hatte.
Mein unangenehmes Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Wir würden Ärger bekommen.
Der Wind trieb uns weiter. Er war zwar kalt, aber nicht eisig. Hier, im südlichen Frankreich, lagen die Temperaturen Anfang Februar eben höher als in London. Profis unter den Fallschirmspringern fallen nicht einfach in die Tiefe. Sie steuern, bevor sie die Reißleine ziehen, mit dem ganzen Körper.
Das konnten wir nicht. Zum Glück trieb uns der Wind in die richtige Richtung, wo der Spiegel wartete.
Schon jetzt sah ich die Hügel, die kleinen Plateaus, auch den Bewuchs, die Felsen. Sie wechselten sich in einem kunterbunten Durcheinander gegenseitig ab. Nur eine Landepiste konnte ich nicht entdecken. Wahrscheinlich war sie im Laufe der Zeit überwuchert worden. Das hätte eine schöne Bruchlandung gegeben.
Ich trieb relativ ruhig dem Ziel entgegen und beschäftigte mich bereits mit dem Gedanken, wie es unter Umständen weiterging. Befanden sich Menschen auf der Insel? Vielleicht die Diener der Totengöttin, die den Spiegel auf das Eiland geschafft hatten.
Wenn sie bewaffnet waren und wir ihnen entgegenschwebten, konnten sie uns leicht mit Kugeln bestücken. Der Gedanke daran war mir mehr als unangenehm.
Manchmal schaute Suko zurück. Auch Bill drehte den Kopf. Ich glaubte sogar, ihn grinsen zu sehen.
Über der Insel kreisten auch Wasservögel. Sie wunderten sich bestimmt über uns.
Der Spiegel befand sich dort, wo das Gelände allmählich bergig oder felsig wurde. Er lag dort wie ein rundes Auge, das in die Höhe zu glotzen schien.
Von einer abstrahlenden Magie spürte ich nichts, dafür etwas anderes. Die Kraft erfaßte Bill, Suko und auch Singal. Es war kein Wind, trotzdem wurden sie abgetrieben, und ich konnte beobachten, wie sich der Spiegel allmählich vergrößerte, als wären unsichtbare Hände dabei, die Fläche in alle vier Richtungen zu ziehen.
Ein Vorgang, der mir bitter aufstieß. Er ließ darauf schließen, daß wir nicht nur an einer bestimmten Stelle landeten, sondern in die Spiegelfläche hineintauchten.
Möglicherweise war er sogar das Tor zu einer anderen Dimension. So falsch hatte ich mit meiner Vermutung auch nicht gelegen.
Die Spannung nahm zu, auch die Bedrückung. Bill und Suko versuchten vergeblich, der Spiegelfläche zu entkommen. Sie steuerten, sie lenkten gegen, aber die Fläche ließ sie nicht aus ihrem Bann.
Sie zog die drei Männer an wie ein Magnet.
Singal tat nichts. Fatalistisch fügte er sich. Es gehörte zu seiner
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