048 - Amöba saugt die Menschen aus
Taschenlampe
erfaßte ein dunkles, durchweichtes Bündel.
Rasch ruderte
der kräftige PSA-Agent darauf zu. Der Erste Offizier fischte das dunkle Etwas
aus dem Wasser. Kleidungsstücke! Ein Hemd, eine Hose, blutverschmiert. Die
Textilien waren sofort zu erkennen: Hemden in dieser Farbe und diesem Schnitt
trugen nur die Besatzungsmitglieder der Dmitri Schostajow .
Wortlos
wurden die durchnäßten Kleidungsstücke an Bord gezogen.
Der Erste
Offizier betrachtete die Initialen und die Registriernummer, die im Kragen und
im Hosenbund eingestempelt waren. Es gab keinen Zweifel. Diese Dinge gehörten
Leo Barapkin , dem Matrosen!
Es gab eine
große Aufregung an Bord, als die Männer ihren Fund dem Kapitän unterbreiteten.
Nur eine
kleine Gruppe Eingeweihter nahm an der Konferenz in der Privatkabine des
Kapitäns teil: die beiden militärischen Berater, der Erste Offizier, Professor Dommajew und Iwan Kunaritschew. Dommajew war über diese Tatsache erstaunt, und er gab seiner Meinung darüber auch
unverhohlen Ausdruck. Doch der Kapitän, der hier uneingeschränkte Befehlsgewalt
verkörperte, konnte Dommajews Einwände entkräften.
»Towarischtsch
Iwan Kunaritschew ist mein Freund. Er ist zudem an exponierter Stelle tätig,
die sich mit der Aufklärung ungewöhnlicher Phänomene befaßt. Ich glaube, daß er
in diesem Augenblick genau an der richtigen Stelle ist. Vielleicht wollte es
das Schicksal, daß auf der Dmitri Schostajow etwas zu
einem Zeitpunkt geschah, in dem ein solcher Mann zu unserem Begleitpersonal
gehört .«
Kunaritschew
fand diese Bemerkung goldrichtig.
Bei der
anschließenden Diskussion kam man zwar zu dem Schluß, daß man den Matrosen Leo Barapkin als überfällig betrachten mußte und er offenbar
ein Opfer der See geworden war. Im Gegensatz zu der kleinen Reporterin jedoch
hatte er kein Glück gehabt. Auch in dieser Gegend gab es Haie. Natascha hatte
nicht gewußt, in welche Gefahr sie sich begeben hatte, als sie sich entschloß,
ein Bad im Meer zu nehmen. Leo Barapkin hatte es
gewußt!
Der Erste
Offizier machte die Andeutung, daß Leo das Mädchen möglicherweise vor dieser
Gefahr hatte retten wollen, dabei aber das Opfer eines Haies wurde.
Die
Blutspuren waren ein eindeutiges Merkmal. Das Gewebe war völlig durchtränkt.
Und genau das
war es, was Iwan Kunaritschew stutzig machte.
»Sieht so
aus, als wäre ihm der Lebenssaft durch die Kleidung entzogen worden. Ein
Sauger, ein Riesensauger schien an seinem Körper gesessen zu haben. Und das
wiederum paßt nicht zur Mentalität eines Haies, meine Herren !«
Der Raubfisch
zerreißt seine Opfer; demnach müßte auch die Kleidung zerfetzt sein. Das ist
sie aber nicht...
Kunaritschews
Bemerkung warf neue Fragen auf.
»Natascha
sprach von einem großen, weißen Etwas, einer sich bewegenden Masse, so dick wie
der Körper des Matrosen selbst. Wenn man sie so hört, muß man unwillkürlich an
eine Seeschlange denken«, machte der Erste Offizier sich wieder bemerkbar, ein
drahtiger und beweglicher Mann.
Dommajew schüttelte
den Kopf. »Ein Wesen, das seine Form verändert, sein Opfer umschließt,
bezeichnen wir gemeinhin als Amöbe. Es gibt viele Amöbenarten in den
Weltmeeren. Die bekanntesten sind Amoeba proteus , Arcella , Entamoeba histolytica und Difilugla - um nur diese zu nennen. In den Größen variieren
sie .«
Pjotr Droganoff nickte. »Erinnern Sie sich an die Exemplare, die
Sie von der Kuppe des Pik Dommajewa aufpflückten , Professor? Sie waren selbst erstaunt über die
ungeheure Größe. Hatten sie nicht die Maße eines ausgewachsenen Menschenkopfes ?«
Dommajew nickte. »Es
waren die größten, die mir bisher unter die Augen gekommen sind. Während der
letzten beiden Monate in meinem Labor in Noworossisk hatte ich Gelegenheit, Wachstum und Verhaltensregeln zu studieren. Die von mir
gefundenen Amöben stellen eine primitive Urform jener Tierchen der, die der
Wissenschaft bisher bekannt sind. Diese kopfgroßen Exemplare können eine Länge
von rund anderthalb Metern erreichen, wenn sie ihre Form verändern. Aber dieses
Ungeheuer, das uns Natascha beschrieben hat, existiert wohl nur in ihrer
Phantasie !«
Es war das
harte Wort eines nüchtern denkenden Wissenschaftlers.
Iwan
Kunaritschew ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Er hatte Dommajew ein bißchen anders eingeschätzt. Er war ein
Forscher, ein Sucher nach Neuem. Konnte das, was die Reporterin Natascha ihnen
mitgeteilt hatte, nicht auf eine Halluzination zurückzuführen
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